Die Liebe und der Tod – gegensätzlicher könnten zwei Grunderfahrungen des Lebens nicht sein, und doch schafft es der japanische Schriftsteller Tatsuo Hori, sie in seiner Novelle „Der Wind erhebt sich“ zu vereinen. Sie ist eine melancholische Geschichte über ein junges Paar und sein stilles Glück in den Bergen Japans.
Das Werk erschien im August dieses Jahres erstmals in deutscher Übersetzung. Der Mitteldeutsche Verlag hat Übersetzerin Sabine Mangold gewinnen können, die Trägerin des Übersetzerpreises der Japan Foundation ist.
Leise Liebesgeschichte im Wandel der Jahreszeiten
Die Liebesgeschichte ist aus der Sicht des namenlosen Ich-Erzählers verfasst, der als Schriftsteller ortsunabhängig arbeiten kann. Er lernt die junge Setsuko kennen, die an Tuberkulose erkrankt ist. Von ihrer Schwäche und Zerbrechlichkeit angezogen, beginnt er eine Beziehung mit ihr und verlobt sich schließlich mit ihr.
Als sich ihr Zustand zusehends verschlechtert, beschließen sie gemeinsam mit ihrem Vater, dass sie sich zur Genesung in ein Bergsanatorium begeben soll. Schnell wird jedoch dem Ich-Erzähler, und damit auch dem Leser, klar, dass eine Heilung in ihrem Stadium unerreichbar erscheint. Und so begleitet diese leise Novelle das Paar in den letzten Monaten ihrer Zweisamkeit.
In dieser Erzählung spielen die Natur und die ineinander übergehenden Jahreszeiten eine tragende Rolle. Die wiederkehrenden Beschreibungen der Gärten und Wälder spiegeln das Seelenleben und Empfinden der Figuren, die sich oftmals wortkarg und in eigene Gedanken versunken gegenseitig Gesellschaft leisten. „So aneinander gelehnt standen wir eine ganze Weile schweigend beisammen, als könnten wir auf diese Weise unser flüchtiges Leben, vergänglich wie der Duft einer prallen Blüte, einen Moment lang festhalten.“ (S. 17)
Vergänglichkeit als Motor des Glücks
Im Laufe der Novelle fängt der Ich-Erzähler selbst an, eine Geschichte über die Begebenheiten zu schreiben und ist erfüllt von dem Gedanken, das Positive ihrer Situation aufzugreifen. Denn erstaunlicherweise sehen beide es als Geschenk an, abgeschieden in dem Bergsanatorium ihre Zeit zu zweit zu verbringen, ohne von der Gesellschaft gestört zu werden.
Als Leser erscheint dies zunächst sonderbar, da so das Leiden von Setsuko oftmals in den Hintergrund tritt und die „dunkle, geheimnisvolle Blume“, wie die Lungeninfektion für den Ich-Erzähler auf Röntgenbildern erscheint, erst allmählich ihre Macht vergrößert. Im Verlauf der Handlung wird „die Kranke“, wie er sie oftmals nennt, schwächer und ihre Anfälle nehmen zu. Gleichzeitig jedoch scheint die seelische Verbundenheit der Protagonisten zu wachsen und die Stunden am Krankenbett auch keine Konversation mehr zu benötigen.
Licht und Schatten in der Abgeschiedenheit der Berge
Wind, Licht und Wolken finden oftmals Erwähnung, sei es während der oft stundenlangen, einsamen Spaziergänge des Ich-Erzählers oder als Ausdruck der Innenwelten der Figuren, die oftmals aus dem Fenster blicken, um sich der Situation im Krankenzimmer zu entziehen. Doch genau wie immer wieder Lichtflecken durch die vorüberziehenden Wolken ziehen, so kommt auch immer wieder das starke Gefühl der Zuneigung zwischen den beiden Menschen hervor und bewegt den Leser.
Natürlich merkt man in „Der Wind erhebt sich“ der Sprache das Alter an, jedoch wird eine derart zeitlose Geschichte von Liebe und Abschied erzählt, dass man schnell die 85 Jahre vergisst, die seit Entstehung der Novelle vergangen sind.
„Der Wind erhebt sich“ ist von der europäischen Erzählkultur inspiriert
Der Autor Tatsuo Hori wurde 1904 geboren und verstarb bereits im Alter von 48 Jahren an Tuberkulose. In der Novelle, die zwischen 1936 und 1938 entstand, verarbeitete er eigene Erfahrungen mit seiner fortschreitenden Lungenerkrankung. Er war Schüler und Freund von Ryūnosuke Akutagawa, der als einer der wichtigsten Schriftsteller und Dichter Japans gilt.
Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit übersetzte Hori Werke der französischen Philosophen und Schriftsteller Marcel Proust, Jean Cocteau und weiterer. Unter den deutschen Dichtern schätzte er Rainer Maria Rilke sehr, dessen Werk auch in der vorliegenden Novelle eine Rolle spielt.
Da bisher keine Übersetzung der Novelle ins Deutsche existierte, war die Geschichte nur als Inspiration für den Manga von Hayao Miyazaki bekannt, der wiederum als Vorlage für den 2014 erschienenen Anime „Wie der Wind sich hebt“ aus dem Studio Ghibli diente.
Jedoch behandelt der Film neben der Liebesgeschichte noch abweichende Themen wie Luftfahrt und Krieg, sodass man die Werke unabhängig voneinander genießen kann.
Fazit
Die endlich ins Deutsche übersetzte Novelle nimmt durch ihre zeitlose Handlung und ruhige Erzählweise den Leser mit in eine melancholische Welt. Die zahlreichen Beschreibungen in „Der Wind erhebt sich“ von Natur, Wolken und Licht geben einen tieferen Einblick in das Innenleben der in Gesprächen oftmals verschlossenen Hauptpersonen und zeichnen ein zartes Bild vom Glück des jungen Paares. Auf die zunächst ungewohnten Formulierungen lässt man sich schnell ein und fühlt mit dem Paar mit.
Info
Der Wind erhebt sich

Verlag: mitteldeutscher verlag, mdv
Erscheinungsjahr: 2022
Autor: Tatsuo Hori
Seiten: 86
Preis: 16,00 Euro
Sonstiges: Mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-96311-682-7
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