Vor ihrem Viertelfinalspiel bei der Frauen-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland wurden die japanischen Fußballerinnen von ihrem Trainer Norio Sasaki an ihr Zuhause erinnert. Seine Fotos waren jedoch nicht solche, die man auf einer Postkarte vorfindet – etwa Kirschblütenfelder oder die untergehende Sonne hinter Tokyos Skyline. Sie waren eher ein nüchterner Anblick der Realität. Verteidigerin Aya Sameshima sagt heute, dass sie nicht hinsehen konnte.
Die Spielerinnen waren zwar Tausende von Kilometern von ihrer Heimat entfernt, aber die Narben des Erdbebens und Tsunamis, die die nordöstliche Ecke des Landes verwüstet hatten, lauerten immer noch in ihren Gedanken. „Es besteht keine Zweifel daran, dass es das ganze Team zum Sieg motiviert hat“, erzählt Sameshima, die auch acht Jahre später noch von der Erinnerung an diese Ereignisse zu Tränen gerührt ist. „Wie dem auch sei,“ sagt sie im Gespräch mit CNN Sport heute, „Ich konnte mir diese [Bilder] nicht direkt anschauen.“
An einem bitterkalten Tag im März 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 9.0 die nordöstliche Region Japans – das größte Erdbeben in der Geschichte des Landes. Seine Stoßwellen führten zu 40 Meter hohe Wellen, die sich über den Pazifik und die Küstenstädte erstreckten. Insgesamt verloren über 20.000 Menschen ihr Leben und Hunderttausende wurden aus ihren Häusern vertrieben.
Kein Wunder also, dass jene Bilder, die Sameshima und ihren Teamkollegen vor dem WM-Viertelfinale gezeigt wurden, sie so bewegten. Nadeshiko – so der Spitzname der japanischen Frauenfußballmannschaft – besiegte anschließend in der Verlängerung den Gastgeber Deutschland.

Nachdem Japan als unauffälliger Außenseiter in das Turnier gestartet war, gewann das Team auch das Finale gegen die USA im Elfmeterschießen und war damit die erste asiatische Nation, die ein internationales Fußballturnier gewann.
In der Heimat wurde die Nachricht mit Freude aufgenommen. „Ich glaube, fast niemand auf der Welt dachte ernsthaft daran, dass Japan gewinnen würde“, sagt Asako Takakura, die in den 1980er und 90er Jahren für die Frauen-Nationalmannschaft spielte, bevor sie 2016 Trainerin wurde. „Viele Menschen in Japan sahen, wie Nadeshiko gewann, obwohl wir nicht so stark waren. Sie sagten uns, dass sie jedoch viel Stärke von uns erhalten haben. Ich habe das Gefühl, dass damals ganz Japan den Titel gewonnen hat.“
Die Errungenschaften der japanischen Nationalmannschaft aus jenem Jahr und die Fukushima-Katastrophe, die vier Monate zuvor das Land heimgesucht hatte, sind auf interessante Weise miteinander verbunden. Das J-Village in Fukushima war maßgeblich am Wiederaufbau nach der Katastrophe beteiligt. J-Village ist das nationale Fußballtrainingszentrum von Japan und wurde unmittelbar nach dem Erdbeben und dem Tsunami als Zufluchtsort genutzt. Später wurde das Zentrum zu einer Basis für den Abbau nuklearer Restbestände. Auf dem Gelände wurden Stahlplatten ausgelegt, die die einst grünen Sportplätze in einen Parkplatz für schwere Maschinen verwandelten.
Auch die Spieler leisteten ihren Beitrag. „Die WM 2011 hat uns großen Mut gegeben, vor allem für die Menschen, die aufgrund der Katastrophe schwierige Zeiten durchstehen mussten“, sagt Shunsuke Ono, ein Vertreter des J-Villages und früherer Trainer der japanischen Nationalmannschaft. „Ich glaube, dass viele Menschen durch die Weltmeisterschaft ermutigt wurden. Sie brachte ein helles Licht in ihr Leben, das von Schmerzen geplagt war […]. Es war toll, das japanische Volk glücklich zu machen.“
Wiederholt sich der Erfolg bei der diesjährigen WM in Frankreich?
Mehr als die Hälfte der Spielerinnen der aktuellen Nationalmannschaft ist 23 Jahre oder jünger und versprüht einen jugendlichen Elan. Mit über 100 Einsätzen ist Sameshima eine der erfahrensten Spielerinnen. Die Verteidigerin gibt jedoch zu, dass ihre Erfahrung aus zwei früheren Weltmeisterschaften ihre Arbeit in Frankreich nicht unbedingt einfacher machen wird. „Ich spiele mit deutlich mehr Druck als vorher“, sagt sie. „Wir hatten einen Generationswechsel. […] Es sind einige sehr junge Mädchen dabei, die noch nie in einem großen Turnier wie der Weltmeisterschaft gespielt haben.“
„Der Gewinn der Weltmeisterschaft ist das Ziel der Mannschaft […] Es ist wichtig, dass diese Mädchen frei auflaufen können. Ich möchte eine Atmosphäre schaffen, in der diese jungen Mädchen frei spielen können.“
Wenn auch der Sieg von 2011 die Popularität des Frauen-Fußballs in Japan befeuerte, räumt Sameshima ein, dass der Sport im Inland an Profil gewinnen muss, wenn die Mannschaft konsequent mit den USA mithalten will. „Es ist notwendig, um den Frauenfußball [in Japan] zu etablieren“, sagt Sameshima. „Die USA haben wirklich eine große Auswahl an Spielerinnen. Es gibt auch viele kleine Mädchen, die Fußball spielen. Das hilft ihnen, weitere gute Spieler hervorzubringen.“
Ein von der japanischen Regierung im Jahr 2017 veröffentlichter Bericht verzeichnete 54.117 Fußballspielerinnen in Japan. In Nordamerika hingegen waren es im Jahr 2014 laut einem FIFA-Bericht über zwei Millionen registrierte Spielerinnen.
Die Olympischen Spiele als Chance
Die junge Mannschaft hat die Gelegenheit, in diesem Jahr die nächste Generation in Frankreich zu begeistern. Und darüber hinaus besteht die Hoffnung auf eine Medaille bei den Olympischen Spielen in der Heimat. Japan konnte sich zwar 2016 nicht für die Olympischen Spiele qualifizieren, nachdem das Land 2012 den zweiten Platz in den USA belegt hatte. Aber der Gastgeberstatus für die Spiele im nächsten Jahr garantiert die Teilnahme Japans.
Auch Fukushima wird im Fokus stehen
Wenn die Olympische Fackel im kommenden Jahr am japanischen Ufer ankommt, wird ihre Reise von dem Ort aus fortgesetzt, an dem sich die dreifache Tragödie – Erdbeben, Tsunami, dann nukleare Kernschmelze – vor acht Jahren entfaltet hat.
„Die Entscheidung, die Olympischen Spiele in Tokyo auszurichten, war ein wichtiger Grund dafür, diesen Ort und die Fußballanlage wiederaufzubauen“, sagt J-Village-Vertreter Ono. „Wir möchten, dass viele Mannschaften uns hier bei den Olympischen Spielen besuchen, insbesondere die japanischen Nationalmannschaften – sowohl Männer als auch Frauen. Ich würde mich freuen, wenn sie hier trainieren und gute Resultate bei den Olympischen Spielen liefern […]. Ich hoffe, es wird wahrhaftig ein helles Licht für diejenigen in Fukushima sein, die eine so dunkle und schmerzhafte Zeit hatten.