Japanisches Essen ohne Fisch? Mit Ōryōki und Shōjin Ryōri besteht eine ganze vegetarische Esskultur, die auf buddhistische Mönche zurückgeht. Wir schauen jedoch nicht in die Töpfe, sondern in die Köpfe hinter dieser Lehre.
(Wer sich nach dem folgenden Artikel selbst einmal an der Kochkunst der Mönche versuchen möchte, dem empfehlen wir die Shōjin-Rezepte aus der Sumikai-Küche)
Wie bei vielen anderen Aspekten der buddhistisch beeinflussten Kultur in Japan, ist die Grundlage für die Gedanken hinter der vegetarischen Küche der Klöster auf die Lehren des Buddha Shakamuni im Grenzgebiet von Nepal und Indien zurückzuführen.
Vegetarismus (菜食主義)
Der Buddha selbst lehrte seine Schüler, auf ihrem Bettelgang alles vorbehaltlos anzunehmen, was ihnen gegeben wurde. Lediglich Fleisch von Tieren, die extra für den Mönch geschlachtet wurden, durften sie ablehnen.
Mit der Aufspaltung des Buddhismus in verschiedene Traditionslinien kam es auch zu unterschiedlichen Regelungen zur Zubereitung von Speisen.
Später entstandene buddhistische Schriften, deren wesentlichen Teile sogar erst in China zusammengestellt worden sein sollen, sprechen sich deutlich für eine vegetarische Ernährung aus. So heißt es etwa im Shurangama-Sutra (shuryōgongyō 首楞厳経), dass ein Mönch, der den Geist des Mitgefühls für alle fühlenden Wesen pflege, kein Fleisch essen könne.
Doch die Vorstellungen von Vegetarismus sind sogar innerhalb eines einzelnen Landes stetigen Veränderungen unterworfen und Japan macht da keine Ausnahme.

In Japan verbot Kaiser Temmu (天武天皇) im Jahr 675 den Verzehr von Tieren, mit Ausnahme von Fischen und Vögeln.
Ein darauf folgendes Dekret des Kaisers Saga (嵯峨天皇) hatte dann sogar bis zur Einführung der europäischen Küche in Japan bestand.
Auch während der Militärregierung durch die Familie Tokugawa kam das Thema auf. So erließ der als „Hundeshogun“ (inu kubō 犬公方) verspottete Tokugawa Tsunayoshi (徳川綱吉) im Jahr 1687 strenge Tierschutzgesetze und befürwortete Vegetarismus.
Es bleibt also festzuhalten, dass bis zum Eintreffen der „Schwarzen Schiffe“ und der Meiji-Restauration lediglich Fische und Geflügel als tierische Nahrungsmittel zugelassen waren.
Ōryōki (応量器) – das klösterliche Speiseritual
Das Leben in japanischen Klöstern folgt noch heute einem strengen Tagesablauf. Jede Handlung ist mit Konzentration und Achtsamkeit durchzuführen, kein störender Gedanke soll die Übung der Mönche trüben. Daher entwickelte sich in den Zen-Klöstern eine formelle Art die Mahlzeiten zu sich zu nehmen.
Der bekannteste Begriff für diese Art der Mahlzeit stammt aus der Sōtō-Tradition. Dort wird sie „Ōryōki“ (応量器) genannt, was sich als „Behältnis für die angemessene Menge“ übersetzen lässt – der Mönch soll genug haben um zu leben, aber nicht schlemmen.
Beim Ōryōki handelt sich um ein Set aus mehreren ineinander passenden Schalen, einer Reihe von Tüchern, die als Serviette, Unterlage, Trockentuch und Transportbeutel dienen, einem Paar Eßstäbchen, einem Löffel, sowie einem Spatel zum Auskratzen der Schalen und weiterem Zubehör.
Die Anzahl der Schalen des Ōryōki-Sets richtet sich nach der Zen-Tradition. Zum Frühstück werden in der Regel nur drei Schalen benötigt – für Reisbrei, Suppe und eingelegtes Gemüse. Traditioneller Teil des klösterlichen Essens ist eingelegter Rettich (takuan 沢庵).
Bereits dessen japanische Bezeichnung steht im Bezug zum Zen und soll auf den Rinzai-Mönch Takuan Sōhō (沢庵宗彭) zurückgehen.
Eine Besonderheit ist, dass die große Hauptschale (zuhatsu 頭鉢) unten wie ein Kessel gerundet ist und daher auf einem kleinen Untersetzer abgelegt werden muss. Sie symbolisiert den Buddha Shakamuni und darf nicht mit den Lippen berührt werden.
Essen im Stil des Ōryōki werden von Mahlzeiten-Rezitationen (gyohatsu nenju 行鉢念誦) begleitet – die einzelnen Schritte – Auspacken, Empfangen der Portionen, ein symbolisches Opfer und das Einpacken – sind genau festgelegt und werden von den jeweiligen traditionellen Texten gegliedert.
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(Video: Das Video zeigt eine verkürzte Form des Ōryōki durch einen einzelnen Mönch. Es vermittelt zumindest einen Eindruck von der ritualisierten Form des Essens).
Nach dem Essen werden eventuell noch anhaftende Speisereste mit dem Spatel entfernt, die Schale mit dem ausgeschenkten dünnen Tee ausgespült und die Flüssigkeit samt der Essensreste getrunken, so dass kein einziges Reiskorn verloren geht.
Steine statt Abendessen
Interessant ist der Umstand, dass es ursprünglich für buddhistische Mönche gar keine Abendmahlzeiten gab, da es den Schülern des Buddha untersagt war, nach der Mittagszeit noch etwas zu essen. Das war auch unproblematisch, da die Mönche keine schwere Arbeit leisten mussten.
In China betrieben die Klöster jedoch Landwirtschaft, was harte körperliche Arbeit bedeutete und schließlich dazu führte, dass die Mönche aufgewärmte Steine unter dem Gewand trugen, um das Hungergefühl zu dämpfen.
Aus diesem Grund wird das Abendessen in japanischen Zen-Klöstern bis heute „yakuseki“ (薬石) genannt, was wörtlich „Medizin-Stein“ bedeutet. Später wurde aus dem wärmenden Stein endlich eine leichte Abendmahlzeit.
Doch kommen wir nun zu einer Ausprägung der buddhistischen Küche, die den westlichen Besuchern zugänglicher ist und in einigen Tempeln und Klöstern, sowie spezialisierten Restaurants auch den „weltlichen“ Gästen serviert wird.
Shōjin Ryōri (精進料理) ist die Küche der Hingabe
Die „hingebungsvolle Küche“ entstammt den buddhistischen Klöstern und folgt dabei zunächst den fünf grundlegenden Prinzipien der traditionellen japanischen Küche (washoku 和食). Diese sollen zusammen eine harmonische Mahlzeit bilden.
- die fünf Farben – rot, gelb, weiß, schwarz, grün
- die fünf Geschmacksrichtungen – süß, sauer, salzig, bitter und scharf.
- die fünf Zubereitungen – schneiden, kochen, grillen, frittieren, dämpfen

Im Gegensatz zu anderen Formen japanischer Küche ist das Shōjin vegetarisch ausgerichtet und sogar klassische Zubereitungsarten werden der buddhistischen Regel des „Nicht-Tötens“ untergeordnet.
So besteht etwa der Suppenstock für die Dashi-Brühe nicht aus Fischflocken, sondern basiert auf Shiitake-Pilzen und Algen. Diese vegetarische Dashi ist ein wichtiger Geschmacksträger für die Speisen.
Doch was macht solch eine vegetarische Mahlzeit, die ohne tierische Zutaten zusammengestellt wird, nun zu etwas spezifisch „buddhistischem“?
Die Grundlage hierfür ist die Geisteshaltung des Zubereitenden – und diese speist sich erneut aus den Regeln für den Küchenmönch der Zen-Klöster.
Tenzo Kyōkun (典座教訓) und Shōjin Ryōri
Der berühmte Zen-Meister Dōgen widmet der Arbeit des Klosterkochs in seinem Werk über die Verhaltensregeln im Kloster Eiheiji (eihei shingi 永平清規) ein ganzes Essay der „Anweisungen für den Koch“ (tenzo kyōkun).
Der Klosterkoch (tenzo 典座) hat eine wichtige Aufgabe innerhalb der klösterlichen Gemeinschaft, denn er versorgt die Mönche mit Nahrung und sichert so ihre Gesundheit.

Daher ist dies eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die keinen einfachen Novizen aufgetragen, sondern von erfahrenen Mönchen wahrgenommen wird.
Aufgrund der Küchenarbeit kann der Tenzo nicht immer an der Sitzmeditation teilnehmen. so dass die Zubereitung der Speisen seine Form von buddhistischer Praxis werden und mit der gleichen Ernsthaftigkeit angegangen werden soll.
Seine Arbeit ist für den Mönch also Teil der Geistesschulung.
Als der junge Dōgen auf der Suche nach der wahren Lehre in China ankam, bestand seine erster Kontakt mit dem dortigen Buddhismus in der Begegnung mit einem alten Mönch, der in der heißen Sonne Pilze trocknete.
Trotz der Erklärung des alten Mönchs, dies sei nun einmal seine Aufgabe, der er sich ganz widmen müsse, verstand Dōgen damals nicht die Bedeutung und sah die Küchenarbeit als etwas minderwertiges an. Diese Ansicht revidierte er und hielt seine Erkenntnis für die Nachwelt fest.
Die Regeln des alten Handbuchs und seine philosophischen Lehren sind somit kein Kochbuch, sondern ein Leitfaden für die Geisteshaltung. Diese Prinzipien finden auch bei der Zubereitung von Shōjin-Mahlzeiten Anwendung.
Der Geist des Tenzo im Shōjin Ryōri
Kansha (感謝) – die Dankbarkeit, ist Grundlage für die Arbeit des Tenzo. Diese Dankbarkeit erstreckt sich auch auf die Pflanzen, deren Leben geopfert wurde, um die Mönche auf ihrem buddhistischen Weg gesund zu erhalten und auf jene Menschen die an Aufzucht, Transport und Verarbeitung der Lebensmittel mitgewirkt haben.
Meister Dōgen spricht im „Tenzo Kyōkun“ von den drei „Arten von Geist“ (sanshin 三心) die ein Tenzo entwickeln muss, wenn er seine Arbeit als Praxis im Geist des Zen üben will. Auch alle anderen Mitglieder der Gemeinschaft sollen diesen drei Prinzipien folgen:
Daishin (大心) – Der großherzige Geist bezieht sich darauf, keine persönlichen Vorlieben walten zu lassen, sondern alle Zutaten so zu akzeptieren wie sie sind. Es geht nicht darum, sie zu etwas „besserem“ zu machen, sondern ihren natürlichen Geschmack zu betonen.
Kishin (喜心) – Der freudige Geist bezieht sich auf die Einstellung zur Arbeit. Sie soll keine Last sein, sondern als Möglichkeit zur buddhistischen Praxis verstanden werden. Auch die freudige Dankbarkeit für die Zutaten gehört hierzu.
Roshin (老心) – Der elterliche Geist bezieht sich auf die Fürsorglichkeit gegenüber den Gästen, denen die Mahlzeiten serviert werden. Ihnen soll das Gefühl warmer Gastfreundschaft vermittelt werden.
Aus Respekt für die Anstrengungen und das Verständnis der drei Arten von Geist, ergibt sich ganz natürlich das Konzept, dass keine Zutaten verschwendet werden sollen.
Daher werden Gemüsereste wie Karottenschalen und Strünke, die von den meisten Menschen eher als Küchenabfall angesehen werden ebenfalls zubereitet und finden beispielsweise feingeschnitten und angebraten ihren Weg in die Schalen auf dem Tisch.
Erkenntnis: Durch die Berücksichtigung von Kansha und Sanshin, wird aus einem gewöhnlichen vegetarischem Gericht im japanischen Stil, die buddhistische Shōjin-Küche.
Weitere Gedanken zur Shōjin-Philosophie
Praktisch alle Pflanzen haben die gleiche Grundlage – Nährstoffe, Licht, Wasser – und dennoch gibt es unendlich verschiedene Formen, die Menschen und Tieren als Nahrung dienen.

Sie sind ein Beispiel dafür, dass man aus wenig Ausgangsmaterial viel machen kann und daher nicht nur bloße Zutaten, sondern eine Inspiration für den Koch.
Seine Aufgabe ist es, anhand der gerade vorhandenen Lebensmittel, also einer kleinen Grundlage, eine nahrhafte Mahlzeit für eine große Anzahl von Menschen zu schaffen.
Dabei soll er jedoch nie Stolz für seine Künste im Umgang mit den Küchenutensilien und Zutaten aufkommen lassen, sondern sich immer im Dienst sehen – natürlich der Gemeinschaft, aber auch gegenüber den Pflanzen, deren Zubereitung er seine Energie widmet.
Besondere religiöse Beschränkungen
Bei der Zubereitung von Speisen verzichtet man nicht allein auf tierische Zutaten, sondern es gibt weitere Einschränkungen, die auf die religiöse Tradition dieser Esskultur zurückzuführen sind.
So wird in den Klöstern auf Zutaten mit starkem Eigengeschmack, wie Zwiebelgewächse und Lauch verzichtet, da diese den Appetit und die Sinnesfreuden steigern. Das Essen der Mönche dient jedoch lediglich der Gesunderhaltung, also eine Art Medizin.
Traditionellerweise werden fünf Zutaten (gokun 五葷) genannt, deren Verwendung untersagt ist – Knoblauch, Zwiebeln, Frühlingszwiebeln, chinesischer Duftlauch und japanischer Frauenfarn bzw. Regenbogenfarn.
Durch diesen Verzicht werden zudem der natürliche Eigengeschmack der verwendeten Zutaten durch die Zubereitung betont und nicht überdeckt. Es bleibt ein „leichter Geschmack“ (tanmi 淡味) der den Geist nicht belastet.
Auch hier besteht also für den Koch die Herausforderung darin, innerhalb diese Beschränkungen einen freien Geist zu bewahren und sich nicht einengen zu lassen, ganz so, wie man bei der Sitzmeditation die bewertenden Gedanken vorbeiziehen lassen soll.
Abschluss
Die vegetarische Küche Japans erfreut sich auch im Ausland zunehmender Beliebtheit und so sind Kochbücher moderner Küchenchefs entstanden, deren Rezepte auf den Konzepten des Shōjin Ryōri basieren.
Auch die umstrittene Ernährungslehre der Makrobiotik, die als eine Vorreiterin der modernen Naturkost gilt, greift sowohl auf japanische Zutaten, als auch auf Shōjin-Ideale wie Einfachheit und Naturbelassenheit zurück.