Jonas Blaumann ist seit 2013 Programmleiter von Egmont Manga. Sumikai stellte ihm ein paar Fragen zum deutschen Manga-Markt und den Themen Eigenproduktionen, eBooks und vieles mehr.
Sumikai: Egmont hat die ersten Manga in den 90ern im Großformat und gespiegelt auf den Markt gebracht. (z. B. Appleseed, Gun Smith Cats, Ranma 1/2). Die Übersetzungen erfolgten teils aus dem Amerikanischen, manchmal aber auch aus dem Französischen. Wie kam es damals zu dieser Entscheidung?
Jonas Blaumann: Mangas waren damals einfach sehr exotisch für die westlichen Länder. Sowohl in den USA als auch in Europa war man der Meinung, dass die hiesigen Leser eine spiegelverkehrte Leserichtung nicht verstehen bzw. akzeptieren würden. So wurde z. B. Akira für den amerikanischen Markt nicht nur gespiegelt, sondern sogar koloriert. Dass sich bei uns eine solche Manga-Begeisterung entwickeln würde, hatte in den 1990er Jahren wohl kaum jemand geglaubt.
Die Entscheidung, die ersten Mangas aus dem Amerikanischen oder Französischen zu übersetzen, hatte ganz pragmatische Gründe. Es gab damals einfach so gut wie keine Übersetzer fürs Japanische ins Deutsche. Meiner Meinung nach ist es immer besser, wenn Übersetzer aus einer fremden Sprache in die eigene übersetzen. Deutsche Japanologen zu finden, die bereit waren, Mangas zu übersetzen, war erst später möglich. Ich wage zu behaupten, dass die wachsende Begeisterung für Manga und Anime in Deutschland mit dazu geführt hat, dass es heute so viele Japanologen in Deutschland gibt. Mittlerweile haben wir sogar eher ein Überangebot an Übersetzern.
Sumikai: Werden auch heute noch gelegentlich Manga aus anderen Sprachen als dem Japanischen übersetzt? Falls ja: Welche Gründe gibt es im Allgemeinen in solchen Fällen?
Jonas Blaumann: Eigentlich passiert das heutzutage nicht mehr. Durch eine Mehrfachübersetzung von Sprache zu Sprache kann viel verloren gehen. Und wie gesagt, da es ausreichend qualifizierte Übersetzer fürs Japanische ins Deutsche gibt, besteht dazu auch kein Anlass mehr.
Sumikai: 2003 brachte Egmont mit Love Hina die erste deutsche Übersetzung einer japanischen Light Novel auf den Markt. Derzeit veröffentlichen nur Carlsen und Tokyopop diverse Light Novels. Romane erfreuen sich immer mehr an Beliebtheit. Wie stehen die Chancen, dass auch Egmont wieder Light Novels nach Deutschland holt?
Jonas Blaumann: Das Phänomen der „Light Novels“ oder „Manga Novels“ ist immer wieder ein Thema, das alle Verlage diskutieren. Wenn man die Titel auf dem deutschen Markt in den letzten 15 Jahren betrachtet, ist die Erfolgsquote doch eher schlecht, zumindest was die Verkaufszahlen angeht. Es gibt nur wenige positive Ausnahmen.
Ich persönlich sehe mehrere Schwierigkeiten: Zuerst sind die Produktionskosten bei Novels meist höher, da die Übersetzung durch die Textmengen teurer ist. Die Anzahl der möglichen Leser ist eher überschaubar, da nicht jeder Manga-Leser auch Novels kauft. D. h. wir müssen hier meist mit einer kleineren Auflage kalkulieren, was wiederum die Druckkosten steigert.
Zweitens hat es bisher keiner der Verlage wirklich geschafft, diese Novels im Handel dort zu platzieren, wo auch andere Leser zugreifen. Die Bücher stehen in den Buchhandlungen nur in der „Manga-Ecke“. Dadurch wird eine Ausweitung auf Nicht-Manga-Leser deutlich eingeschränkt.
Wir bei Egmont Manga haben entschieden, nur noch in Ausnahmefällen Novels zu machen. Z. B. veröffentlichen wir jetzt im Oktober einen wirklich tollen Roman – your name.. Die Verfilmung desselben sorgt bereits seit einem Jahr für einen Rekord nach dem anderen. your name. ist mittlerweile der erfolgreichste internationale japanische Zeichentrickfilm. Der Roman ist das Original und wirklich sehr lesenswert.

Sumikai: Es fällt mittlerweile auf, dass euer Manga-Programm vermehrt aus Einzelbänden oder Kurzserien besteht. Warum greift ihr eher selten zu längeren Serien? (Detektiv Conan wäre z. B. einer der wenigen Longrunner in eurem Programm)
Jonas Blaumann: Das sehe ich nicht so. Seit ich im Dezember 2013 die Programmleitung bei Egmont Manga übernommen habe, haben wir einige lange Serien gestartet, z. B. Prison School oder UQ Holder. Jetzt im Oktober bringen wir mit Say „I love you“! eine Romance-Serie mit 18 Bänden. Außerdem sind viele weitere noch nicht abgeschlossen.
Wir versuchen, eine gesunde Mischung zu haben. Hat man zu viele lange Serien im Programm, blockiert man sich Plätze für Neustarts, da wir nur eine begrenzte Anzahl an Bänden pro Monat veröffentlichen können. Natürlich ist auch das Risiko größer, mit langen Serien bei Misserfolgen finanzielle Verluste zu erleiden.
Es gibt auch Manga-Leser, die manche Serien gar nicht erst anfangen, wenn sie wissen, dass es mehr als zehn Bände werden. Zumindest lesen wir das auf vielen Online-Plattformen.
Ich denke, wir haben nach wie vor ein sehr ausgewogenes Programm. Wir haben lang laufende Serien mit vielen Bänden, mittellange bis kurze Serien und auch Einzelbände, da ist für jeden was dabei.
Sumikai: Wie sieht das Manga-Lesepublikum derzeit aus (Alter, Geschlecht, etc.), und hat sich vergleichsweise an den Statistiken von vor fünf bis zehn Jahren etwas verändert?
Jonas Blaumann: Leider gibt es im Manga-Bereich aktuell keine wirklich 100%ig verlässlichen Statistiken. Aber aus unserer Sicht sind die Manga-Leser mehr als 50 % weiblich und zwischen 12 und 30 Jahre alt. Je nach Genre natürlich verschieden gelagert.
Ich glaube, dass die Leser einerseits immer älter werden. Manga-Leser sind meist sehr treu und hören nicht mit Anfang 20 auf. Die Programme aller deutschen Manga-Verlage haben sich in den letzten Jahren entsprechend verändert. Es gibt viel mehr Titel für ältere Leser.
Andererseits kommen trotzdem ständig neue junge Leser dazu. V. a. die Bestseller-Serien wie Tokyo Ghoul, One Piece oder Detektiv Conan gewinnen ständig neue Leser, was man an den Verkaufszahlen der jeweils ersten Bände der Reihen ablesen kann.
Neuleser zwischen acht und zwölf Jahren zu gewinnen, das wird eine der großen Herausforderungen für uns Verlage in den nächsten Jahren sein.

Sumikai: Neben den Importen aus Japan und Korea spielen auch deutsche Eigenproduktionen eine wichtige Rolle auf dem Manga-Markt. Wie kommen Künstler und Verlag zusammen und wie sieht im Allgemeinen die Zusammenarbeit aus?
Jonas Blaumann: Das ist unterschiedlich. Meistens kommen die ersten Kontakte auf Conventions oder übers Internet zustande. Meistens kommen die Künstler auf die Verlage zu oder schreiben sie an. Es gibt aber auch den umgekehrten Weg. Natürlich beobachten wir Verlage die deutsche Nachwuchskünstler-Szene, um Talente frühzeitig zu entdecken. Dann sind da noch einige Wettbewerbe, an denen die Verlage direkt oder indirekt beteiligt sind.
Die Zusammenarbeit mit Künstlern ist im Allgemeinen sehr viel aufwendiger als die Bearbeitung von japanischen Mangas. Da es sich um junge Menschen handelt, die oft noch in Ausbildung stehen und wenig professionelle Erfahrungen haben, ist die Zusammenarbeit manchmal schwierig. Aber auch bei uns in den Verlagen besteht hier insgesamt noch Bedarf an den richtigen Strategien. Ich denke aber, dass sich hier v. a. in der letzten Zeit sehr viel tut. Zwar sind wir Konkurrenten, aber ich persönlich finde z. B. die Arbeit, die Tokyopop mit ihren Eigenproduktionen macht, sehr gut. Da sind echt richtig tolle Bücher entstanden, die sich keineswegs vor japanischen Mangas zu verstecken brauchen und teilweise sogar die Verkaufscharts stürmen.
Wir bei Egmont Manga haben in den letzten Jahren die Eigenproduktionen etwas zurückgefahren, weil wir einfach andere Schwerpunkte setzen mussten. Aber ich kann hier schon mal unverbindlich sagen, dass in 2018 auch bei uns wieder einige großartige Projekte an den Start gehen werden.
Sumikai: Die letzte Publikation einer deutschen Manga-Eigenproduktion bei Egmont Manga liegt schon ein Weilchen zurück. Plant ihr in naher Zukunft, Titel deutscher Zeichner wieder mit ins Programm aufzunehmen?
Jonas Blaumann: Wie oben bereits gesagt, stimmt das. Die Camio-Reihe von CHASM und der Boys-Love-Band Dreizehn von de.zibel liegen schon etwas zurück.
Ich kann noch nichts verraten, aber 2018 werden gleich mehrere Bücher erscheinen, auf die wir uns schon total freuen. Die Ankündigung unseres Sommerprogramms 2018 erfolgt im Laufe des Oktobers, also haltet die Augen offen.

Sumikai: Wie stehen die Chancen, dass Egmont Manga bestimmte erfolgreiche Manga oder Eigenproduktionen als Hörspiel veröffentlicht?
Jonas Blaumann: Wir werden selbst keine Hörspiele produzieren. Dazu fehlen uns das Know-how und die Kapazitäten. Für japanische Mangas haben wir auch nur die Buchlizenzen. Weitere Rechte besitzen wir nicht.
Was Eigenproduktionen angeht, so sind wir hier sehr offen für alles und stets bereit, die Rechte z. B. für Hörspiele an jemanden weiterzugeben, der etwas vom Hörspielmachen versteht.
Sumikai: Der deutsche Leser tendierte bisher doch eher zum Kauf eines Buches anstatt der digitalen Variante. Wohin geht aktuell der Trend für Manga-E-Books?
Jonas Blaumann: Wir haben im März 2014 unsere eManga-Offensive gestartet. Mittlerweile erscheinen fast alle Titel parallel als eBook und wir haben mehrere hundert eMangas lieferbar. Natürlich ist die Nachfrage nach wie vor geringer als bei den gedruckten Büchern, und das wird auch noch lange so bleiben. Vor allem die weiblichen Leser akzeptieren aber mehr und mehr das digital Lesen und so können wir große Verkaufserfolge in den Genres „Romance“ und „Boys Love“. Der Verkaufsanteil z. B. bei Beast Boyfriend beläuft sich auf fast 10 %.
Durch die immer besser werdende Technik kann man mittlerweile auf Tablets und Smartphones wirklich toll Mangas und Comics lesen. Ich denke, der Anteil der digitalen Mangas wird sich in den nächsten Jahren noch erhöhen. Die gedruckten Bücher werden aber auch in Zukunft unser Hauptgeschäft bleiben. Wir bleiben am Ball und bemühen uns weiterhin, innovativ zu sein.

Sumikai: Zu guter Letzt: Als Programmchef verfolgst du sicherlich auch den japanischen Manga-Markt. Stechen dir dort bestimmte Titel ins Auge, die eine tolle Ergänzung für das Programm von Egmont Manga wären bzw. die von euren Leser häufig gewünscht werden?
Jonas Blaumann: Klar, gemeinsam mit meinem Team ist es ein wichtiger Teil unserer Arbeit, den japanischen Markt im Auge zu haben. Wir haben immer wieder neue Titel auf dem Radar. Leider kann ich hier keine nennen, da die Konkurrenz vielleicht dieses Interview liest. Aber zwei Beispiele, die bereits entschieden sind, kann ich nennen.
Wir hatten sehr früh die Serie One-Punch Man entdeckt und uns stark bemüht, die Lizenz zu bekommen. Großartige Serie! Entsprechend enttäuscht waren wir natürlich, als die Entscheidung nicht zu unseren Gunsten ausfiel.
Andersherum lief es bei A Silent Voice. Wir haben sehr früh an diese Serie geglaubt. Deshalb bekamen wir den Zuschlag und sind sehr froh, dass diese unglaublich tolle Geschichte auch so einen Anklang bei den deutschen Lesern findet. Umso schöner ist, dass wir bereits im Frühjahr 2018 die neue Serie der Autorin – To Your Eternity – ankündigen können.
Auch sehr wichtig für uns sind die Wünsche der Manga-Leser. Wir bekommen sehr viele eMails und auch über die sozialen Netzwerke werden diese Wünsche an uns herangetragen. Natürlich können wir niemals alle Wünsche bedienen, aber wir prüfen alles. Die eine oder andere sehr oft gewünschte Serie werden wir übrigens bald ankündigen.
Wir bedanken uns bei Jonas Blaumann für das Interview.