Märchen gehören hierzulande zu Weihnachten wie Schnee zum Winter. Viele sitzen bald mit ihren Freunden oder ihrer Familie zusammen und schauen den Helden der fantastischen Geschichten bei ihren Abenteuern zu. Vor allem die Märchen der Gebrüder Grimm haben den deutschen Erzählungen internationale Bekanntheit eingebracht. Auch in Japan kann man sich dieser Faszination nicht entziehen.
Die japanische Mangaka Kei Ishiyama war schon immer begeistert von den Grimm’schen Märchen. Aus diesem Grund nahm sie sich schließlich extra die Zeit für eine Weile nach Deutschland zu kommen, um den berühmten Geschichten auf den Grund zu gehen. Anschließend machte sie sich an eine zeichnerische Umsetzung einiger der bekanntesten Märchen. Anstatt diese aber nur nachzuerzählen, änderte die Zeichnerin die Handlung ab – allerdings immer so, dass das ursprüngliche Märchen immer noch zu erkennen ist.
Es war einmal… ganz anders

Wenn wir an Märchen denken, fallen vielen von uns als Erstes bestimmte Geschichten wie Rotkäppchen, Hänsel und Gretel oder Schneewittchen ein. Diese gehören auch zu den bekanntesten Werken aus den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Wir alle kennen die Handlung, denn sie wird immer wieder auf dieselbe Weise erzählt.
Kei Ishiyama hat sich die bekannten Märchen vorgenommen und diese auf ihre ganz eigene Art neu interpretiert. Manchmal hat sie die Konstellationen der Figuren zwar ein wenig verändert, trotzdem hat man als Leser keine Schwierigkeiten die ursprünglichen Märchen zu erkennen.
Rotkäppchen geht in den Wald und begegnet dem bösen Wolf, soweit so klar. Aber wie würde die Story sich entwickeln, wenn der Wolf noch sehr jung und Rotkäppchen einfach nur zuckersüß wäre?
Eine ähnliche Idee verfolgt die Zeichnerin auch bei ihrer Umsetzung von Rapunzel. Dabei wirft sie die Frage auf, warum es eigentlich immer die Mädchen sind, die darauf warten gerettet zu werden.
Auch bei Hänsel und Gretel verläuft die Handlung doch ein wenig anders als man sie kennt. Während sich Hänsel in einen kleinen Narzissten verwandelt und die Hexe eher an seinem Körper interessiert ist als an seinem vollen Magen, ist es mal wieder eine weibliche Figur (Gretel), die den Durchblick behält.
Zwar hält sich die Zeichnerin in den letzten beiden Märchen, Die 12 Jäger und Die zwei Brüder, recht genau an die Vorlage, trotzdem entwickeln auch diese zwei Erzählungen ihren eigenen Charme. Selbst wer die ursprünglichen Werke schon gelesen hat, bekommt hier die Gelegenheit sie völlig neu kennenzulernen.
Einmal ist nicht genug
So wie die Geschichten der Gebrüder Grimm inzwischen in zahllosen Auflagen herausgebracht wurden, reicht auch Kei Ishiyama ein Märchen-Manga nicht aus. Deswegen hat sie noch einmal nachgelegt und sich wieder äußerst bekannte Geschichten ausgesucht, um diese neu zu gestalten.
Spätestens seit der Disney-Verfilmung kennt jeder die Geschichte von Schneewittchen und ihrer bösen Stiefmutter. Obwohl die Zwerge innerhalb dieser Erzählung eine wichtige Rolle spielen, sind sie nur Randgestalten. Die Zeichnerin ändert das in ihrer Adaption von Schneewittchen und erzählt das Märchen aus der Sicht eines der Zwerge. Zusätzlich spickt sie die Handlung noch mit einigen niedlichen kleinen Nebenepisoden.
Beim Froschkönig werden dann wieder einmal die Rollen gewechselt. Diesmal ist es nämlich nicht der Prinz, der als schleimiger Frosch durch die Gegend hüpft, sondern eine Prinzessin, die es zu retten gilt. Auch wenn diese es ihrem Prinzen nicht wirklich einfach macht.
Auch Der Gestiefelte Kater erweist dem Leser in Grimms Manga die Ehre und nimmt ihn mit in seine Welt. Auch hier hat die Mangaka die ursprüngliche Story zwar beibehalten, diese aber wieder durch einige neue Ideen ergänzt. Entstanden ist dabei eine sowohl lustige als auch actionreiche Erzählung, die nicht nur Katzenliebhaber bezaubern wird.
Die Geschichte des singenden, springenden Löweneckerchen kennen die meisten wahrscheinlich eher als Die Schöne und das Biest. Trotzdem bietet auch dieses Märchen noch viel Raum, um eine eigene Note in die Erzählung einfließen zu lassen.
Bekannt und doch wieder neu

Wir wachsen mit den Märchen der Brüder Grimm auf und jeder hat seine Lieblingsgeschichte. Selbstverständlich gibt es von den Märchen inzwischen zahlreiche Adaptionen, Umschreibungen und Parodien, in die jeder Künstler seine eigenen Ideen einfließen lässt. Trotzdem sind die Grimms Manga in dieser Ausprägung doch noch etwas Neues. Denn die Märchen werden aufwendig gezeichnet und gleichzeitig neu erzählt.
Es sind vor allem die vielen kleinen Anspielungen, die die Storys so außergewöhnlich machen. Jedes Mal entdeckt man etwas Neues, ein kleines Detail, das die Mangaka in die Geschichte hat einfließen lassen und das man vorher noch nicht bemerkt hat. An dieser Stelle sieht man die Liebe und Sorgfalt, die Kei Ishiyama in ihre Umsetzungen gesteckt hat.
Nachdem es von vielen Märchen inzwischen einige Abwandlungen gibt, hat sich die Zeichnerin in ihren Grimms Manga die Arbeit gemacht, zu den Ursprüngen zurückzukehren. Die Brüder Grimm haben selbst einige ihrer Geschichten im Laufe der Zeit abgeändert, um sie dem damaligen Zeitgeist anzupassen. Deswegen kennen einige zwar dasselbe Märchen, aber es ist manchmal ein wenig anders, je nachdem welche Auflage man denn nun gelesen hat. Bei den Manga fällt allerdings auf, dass es sich wirklich vorrangig um die ursprünglichen Geschichten handelt, die ein kleines Up-grade erfahren.
Selbstverständlich sind einige Neuschöpfungen der Zeichnerin Geschmacksache und manch einer wird eine Umsetzung gelungener finden als andere. Aber das tut dem Lesespaß keinen Abbruch. Vor allem weil die Zeichnerin ihre Werke mit einer gehörigen Portion Humor versieht, ist für gute Unterhaltung mehr als gesorgt.
Bilder, die im Gedächtnis bleiben
Schon die Idee, die bekannten Märchen neu zu illustrieren ist eine Herausforderung, denn viele Leser haben sich ein eigenes Bild davon gemacht, wie diese oder jene Figur aussieht. Trotzdem hat sich Kei Ishiyama der Herausforderung gestellt und diese auch sehr gut bewältigt. Ihre Charaktere sind durchdacht und in einem sehr schönen Stil zu Papier gebracht.
Ähnlich großen Wert wie auf die inhaltliche Ausarbeitung der Märchen legt die Mangaka auch auf die zeichnerische Umsetzung. Sowohl die Figuren als auch die Hintergründe wurden mit viel Liebe zum Detail umgesetzt und lassen die Geschichten lebendig werden.

Nachdem sich eine japanische Künstlerin an unseren Märchen versuchte und damit so großen Erfolg verzeichnen konnte, haben es sich die deutschen Zeichner nicht nehmen lassen auch einige Werke neu zu Papier zu bringen. An diesem zusätzlichen, eigentlich dritten, Band waren so bekannte Zeichner wie Anna Hollmann, Nina Werner, Anike Hage oder Inga Steinmetz beteiligt und auch hier entstand eine wunderschöne Mischung aus Alt und Neu.
Wer sich die volle Dröhnung Grimms Manga geben will, dem sei außerdem noch der Zusatzband empfohlen. Dort berichtet die Mangaka von ihrem Aufenthalt hier in Deutschland und von ihrer Arbeit. Zusätzlich gibt es eine weitere Kurzgeschichte, in der sie Wölfchen aus Rotkäppchen auf eine verrückte Reise einmal quer durch die Märchenwelt schickt. In diesem Band ebenfalls exklusiv enthalten ist die Geschichte von Rotkäppchen in der japanischen Version. Die ist ein echter Augenschmaus, das kann an dieser Stelle bereits versprochen werden.
Insgesamt sind die Grimms Manga sowohl für ältere als auch jüngere Leser geeignet, wobei ich bei kleineren Kindern eher dazu rate, es bei dem ersten Band zu belassen. Im zweiten gibt es doch eine sehr heftige Szene zu sehen, die man auf den ersten Blick in einem klassischen Märchen nicht erwarten würde. Wenn man sich allerdings die eigentliche Urfassung mancher Story ansieht, ist diese dann schon wieder fast normal.