Ein guter Titel gehört zum A und O beim Schaffen von Mangas. Er soll zusammen mit der Covergestaltung das Interesse des Betrachters wecken und diesen dazu animieren, das Werk näher unter die Lupe zu nehmen. Eine Option – manche würden sagen: etwas primitiv, aber effizient – wäre etwa, einen möglichst schlüpfrigen Titel zu wählen. Da erinnere ich mich nur allzu gerne an den Boys-Love-Zweiteiler Sexperimente von Rie Honjoh zurück, der 2008 bei TOKYOPOP auf Deutsch erschien. Auf diesem Gebiet ebenso wenig unterordnen muss sich der am 10. November 2014 beim selben Verlag herausgekommene Einzelband Porno Superstar von Nanami. Zwei Worte und die Fantasie spielt schon in eine eindeutige Richtung an. Warum mich der Titel dennoch – positiv – überrascht hat, erzähle ich euch in den folgenden Abschnitten.
Toru Yamashita ist ein 26-jähriger Büroangestellter, der verheimlicht, dass er Männer liebt. Zur Schulzeit hat sich Yamashita deswegen nach einem Liebesgeständnis als Opfer von Mobbing wiedergefunden. Einen Freund hatte er bisher nicht, im Klartext: mit 26 Jahren noch immer Jungfrau. Für seine sexuellen Bedürfnisse greift der junge Mann zu den Videos seines Lieblingspornostars Hikaru. Yamashita glaubt, das Schicksal meine es endlich mal gut mit ihm, als er seinem Idol auf der Straße begegnet! Hingerissen bittet der Büroangestellte Hikaru, mit ihm zu schlafen …
… und das vermeintliche Pornosternchen nimmt das Angebot tatsächlich an. Erst im Bett, als es bereits mächtig zur Sache geht, gesteht Yamashitas Begleitung, gar nicht Hikaru zu sein. Bei der ersten Gelegenheit ergreift unser Protagonist die Flucht und will die Begegnung nur noch vergessen. Pech gehabt! In der Arbeit wird der Sohn des stellvertretenden Chefs vorgestellt: Ryuichi Asaoka. Yamashita soll sich um den Neuzugang kümmern. Einziges Problem: Ryuichi ist der Mann von letzter Nacht – und er will die Geschehnisse definitiv nicht auf sich beruhen lassen, sondern mehr davon!
Das sind sie also, unsere Protagonisten: Yamashita und Asaoka. Auf dem Cover des Einzelbandes sind die beiden schon gut präsentiert. Nanami kombiniert zwei bekannte Charaktertypen des Boys-Love-Genres in Porno Superstar. So ist Yamashita klein und schmächtig. Die Brille lässt ihn noch wehrloser erscheinen. Sein Alter kennt man ihm bei seinem jugendlichen Gesicht mit den großen, unschuldigen Augen nicht an. Auf Anhieb fällt der Größenunterschied zu Asaoka auf. Der blonde Schönling ist hochgewachsen mit einem durchtrainierten Körper, breiten Schultern und einem scharfen, durchdringenden Blick.
Auch charakterlich wirken die zwei Männer wie Tag und Nacht. Yamashita versteht man schnell, da Nanami detailliert auf seine Gefühlswelt eingeht. Besonders die brüske Rückweisung in seiner Jugend gebündelt mit Spott und Mobbing haben Yamashita zu einem in sich gekehrten, wenig kommunikationsfreudigen Mann gemacht, der weiß, was Einsamkeit bedeutet. So trägt der 26-Jährige zwei Gesichter. In der Arbeit gilt er als schweigsamer, ungeselliger Angestellter. Zu Hause, wenn Yamashita heimlich seinem angebeteten Hikaru frönt, legt er dagegen große Begeisterung an den Tag, die ihn vor Lebensfreude und Glückseligkeit richtig erstrahlen lässt. Überzeugend präsentiert Nanami diese gegensätzlichen Seiten des Protagonisten.
Die Beziehung zu Asaoka ist kompliziert – kein Wunder, denn schon allein die erste Begegnung verläuft nicht so, wie erwartet, und zieht große Kreise. Der rosa Ton im Cover täuscht etwas über die teilweise vorherrschende Atmosphäre hinweg. Trotz humorvoller Note ist nicht alles immer froh und heiter in Porno Superstar. So übt der schwer zu durchschauende, dominante Asaoka Druck auf Yamashita aus, der dadurch in die Enge gedrängt wird und sich unterordnen muss. Obwohl ein gewisser Zwang definitiv vorhanden ist, hält Nanami aber zum Glück mit dem Einbauen von Missverständnissen und Yamashitas zugeneigten Gedanken Abstand zum Thema »Vergewaltigung«. Somit können in dieser Hinsicht sowohl Boys-Love-Fans, die in dem Genre eine härtere Gangart bevorzugen, als auch jene, welche solche Fantasien weniger gutheißen, zu diesem Manga greifen.
Gerade dieser Mittelweg, den Nanami trotz schmaler Gratwanderung gekonnt trifft, stellt für mich einen großen Pluspunkt des Einzelbands dar. Wir haben hier einen schweren – hoch sexuellen – Konflikt. Der Protagonist steckt in der Zwickmühle, erhält aber genug Platz, um sich in dieser Notsituation weiterzuentwickeln und charakterlich zu wachsen. Yamashita bricht aus alten Mustern aus, indem er sich von seiner Traumwelt, die rund um sein Idol Hikaru entstanden ist, ab– und der Realität mit Asaoka zuwendet. Mit der Zeit lernt er andere – positive – Seiten an dem Mann kennen, und auch die Leser erfahren dadurch mehr vom Blondschopf, dessen Verhalten sowie Beweggründe zu Beginn nur schwer zu erraten sind.
Neben der Geschichte von Asaoka und Yamashita ist mit mind Flow ein älteres Werk vertreten, das gerade einmal ein Kapitel umfasst. Der Student Kazuya führt eine Beziehung mit einem verheirateten Mann. Dessen Ehefrau beauftragt jedoch eine Firma, ihrem Gatten nachzuschnüffeln. Takeda kommt dem Doppelleben auf die Schliche. Statt jedoch alles auffliegen zu lassen, erpresst er Kazuya – ohne großen Erfolg. Trotz der Kürze von 34 Seiten präsentiert Nanami hier eine intensive Handlung, die jedoch etwas textlastig ausfällt. Das ist auch schon alles, was ich zu mind Flow sagen möchte, um nicht zu viel vorwegzugreifen. In Verbindung zu Porno Superstar steht übrigens Nanamis 2012 gestartete Reihe Shiny Star, die den hier erwähnten Charakter Hikaru in den Mittelpunkt stellt.
Bei den Zeichnungen habe ich zuvor schon das Auftreten von den Porno Superstar-Protagonisten Yamashita und Asaoka beschrieben. Hier spiegelt sich klar ein Bishonen-Look wieder, der, wie so oft im Boys Love, mit kleinen proportionalen Schwierigkeiten kämpft, die das Lesevergnügen jedoch nicht weiter drosseln. Bei einem Titel wie Porno Superstar erwartet man sich viele Sexszenen – diese sind explizit vorhanden, aber weniger detailreich, als vermutet. Es gibt nackte Haut zu sehen, verbunden mit entsprechenden Stellungen, dennoch geht Nanami nicht so weit, tatsächlich das männliche Glied zu zeigen, wie es etwa Ayano Yamane gerne in ihren Werken (Crimson Spell, Finder) einbaut. Selbst bloße Umrisse oder Schemen bleiben aus.
Gestik und Mimik der Figuren überzeugt. Mit den Hintergründen geht Nanami leider sehr sparsam um. Das Dargebotene reicht als Ortsorientierung, wirkliche Hingucker sind die Szenerien jedoch nie. Rasterfolie wird meist nur für Kleidung und Schattierung verwendet, statt zum Ausfüllen der Umgebung. Deswegen stößt man beim Durchblättern auch schon mal auf komplett weiße Hintergründe. Beim Lesen selbst fällt das weniger auf, da sehr viel auf die Gefühlswelt des Protagonisten eingegangen wird. Dadurch konzentriert man sich eher auf dessen Gedanken und versucht, diese nachzuempfinden, anstatt den eigenen Blick etwas schweifen zu lassen. So gelingt es Nanami teilweise, den fehlenden Detailreichtum unter den Teppich zu kehren. Der Manga umfasst eine Farbillustration.
Porno Superstar beinhaltet mehr Story, als man bei so einem provokativ sexuell angehauchten Titel vermuten würde. Die beiden Hauptcharaktere sind gut durchdacht, etwas überdreht und – eventuell gerade deswegen – auf Anhieb sympathisch. Das Wechselspiel ihrer Gefühle treibt die Geschichte stetig voran. Unterhaltsam reiht Mangaka Nanami die Szenen aneinander und schafft es dabei, selbst dunkle Töne mit einem versteckten Schmunzeln unterzumischen. So ganz ernst nimmt sich Porno Superstar nämlich nicht (wie man bei so einem Titel schon annehmen könnte) – und das ist gut so. Es entsteht dadurch eine in sich stimmige, lockere Handlung, deren Umsetzung überzeugt. So habe ich Porno Superstar sehr gerne gelesen und kann nur jedem Boys-Love-Fan empfehlen, ebenfalls einen Blick zu riskieren.
Wir bedanken uns bei TOKYOPOP für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars zu Porno Superstar.
DetailsTitel: Porno Superstar |
Pornographic Superstar © 2011 NANAMI, Frontier Works Inc.
Porno Superstar © TOKYOPOP GmbH, Hamburg 2014