Mit Ermafrodito von Esa Parr gibt Tokyopop einer weiteren deutschsprachigen Künstlerin die Möglichkeit, ihr Werk einem breiten Publikum vorzustellen. Ob die Mischung aus Drama, Romance und Boys Love überzeugen kann, haben wir uns angesehen.
Das Venedig des Jahres 1549 hat die dunklen Jahre der Pest hinter sich gelassen und ist zu einer blühenden Metropole geworden. Dort florieren neben dem Handel auch die Kunst und vor allem die Wissenschaft. Der reiche Händler Giorgio will in die höchsten Ränge der Gelehrten aufsteigen und hat die Anatomie des Menschen und ihre unentdeckten Geheimnisse zu seinem Steckenpferd gemacht.
In dem jungen Belfore, den er einst in einer Pest verseuchten Stadt fand, der aber selbst nicht erkrankt war, scheint er das perfekte Studienobjekt gefunden zu haben. Allerdings kann Belfore Giorgio schon bald keine neuen Erkenntnisse liefern. Als der junge Mann im Zuge des Karnevals auf den androgynen Hermaphroditen Harlow trifft, kommt eine Dreiecks-Beziehung in Gange, deren Ende kaum absehbar ist …
Ermafrodito ist Esa Parrs erstes Werk, das bei einem großen Verlag erscheint. Trotzdem gelingt es der Zeichnerin mit ihrer Mischung aus Drama, einer großen Prise Romantik und einem guten Auge für die Umgebung eine spannende und fesselnde Geschichte zu kreieren. Obwohl inhaltlich Stoff für mehr Bände gewesen wäre, erweist sich der One-Shot als gängige Alternative. Vor allem, da die Folgebände deutscher Werke meist irgendwie mit der Deadline zu kämpfen haben und gern mal verschoben werden.
Herz – Schmerz
Esa Parrs Hermafrodito ist geprägt von einer tiefen Dualität, die sich nicht nur in ihrer Figur Harlow zeigt. So wie dieser Teile beide Geschlechte besitzt, spielt die Zeichnerin mit den Gegensätzen. Dem blondgelockten, lebensbejahenden Harlow stehen die dunklen Typen Giorgio und Belfore in ihrer zerstörerischen Beziehung gegenüber. Ähnlich gestalten sich die Schauplätze. Auf der einen Seite die lebendigen Straßen von Venedig, auf der anderen Seite das Studienzimmer von Giorgio, in das man zwar nur kurze Einblicke erhält, diese genügen allerdings, um zu wissen, dass man sich dort nicht gern aufhalten möchte.
Auch die Beziehungen zwischen den Figuren erweisen sich als zwiespältig und nicht sehr gesund. Giorgio und Belfore erscheinen in der Öffentlichkeit als Vater und Ziehsohn. Hinter den Kulissen sieht es allerdings anders aus. Giorgio benutzt den emotional von ihm abhängigen jungen Mann als menschliches Versuchskaninchen, was Belfore noch nicht einmal schlimm findet. Später, nachdem der junge Mann wissenschaftlich keine weiteren Entdeckungen verspricht, wird er zum Lustknaben und Aufpasser degradiert, als Giorgio mit Harlow ein weiteres vielversprechendes Studienobjekt findet.
Harlow bringt Bewegung in die festgefahrene Welt von Belfore und Giorgio. Während Ersterer anfangs eifersüchtig auf den hübschen Neuankömmling reagiert, entwickelt sich zwischen beiden doch schnell eine Beziehung, die so ganz anders ist, als Belfores bisheriges Leben. An dieser Stelle wird es schwierig, da die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lebensideen zu kurz kommt. Anstatt, dass Belfore die ungesunde Beziehung zu Giorgio hinterfragt, bleibt er weiterhin der brave Mitläufer, der alles mit sich machen lässt. Erst als Giorgio auch noch die letzte menschliche Hemmschwelle in den Wind schießt, beginnt der junge Mann zu rebellieren.
Wie bei einem Einzelband nicht anders zu erwarten, entwickelt sich die Geschichte schnell und lässt dem Leser nicht viel Zeit zum Durchatmen. Kaum hat man sich von der einen Situation erholt, kommt Esa Parr mit dem nächsten emotionalen Hammer um die Ecke. Da die Geschichte vorrangig zwischen nur drei Protagonisten spielt, bleiben andere Charaktere eher Schatten, die mal auftauchen und genauso schnell wieder vergehen. Dafür versucht die Zeichnerin ihren Hauptfiguren eine differenzierte Persönlichkeit zu geben, was in Anbetracht der Kürze aber nur ansatzweise gelingt.
Im Namen der Wissenschaft

Aus der Geschichte wissen wir, dass Genies wie Leonardo da Vinci vor Leichen-Fledderung nicht zurückschreckten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Ähnliche Versuche aber an einem lebenden Objekt durchzuführen, ist schon harter Tobak, den Esa Parr in Ermafrodito allerdings feinfühlig in Szene zu setzen weiß. Die Untersuchung geht ebenso unter die Haut, wie die Situation der beteiligten Personen. Während Giorgio hinterher Belfores Körper wieder flickt, erweist sich das mit seiner Seele wesentlich schwieriger.
Vor allem mit der optischen Diversität ihrer Figuren arbeitet die Künstlerin viel, sie liefern ja auch mehr als genug Material dafür. Der feingliedrige Harlow wirkt als krasser Gegenpart zu Giorgio und Belfore, bleibt in sich selbst aber ebenso zwiegespalten, wie es sein Aussehen ist. Nimmt Harlow zu Anfang bei Giorgio noch den unterwürfigen Part eines frühzeitigen Callboys ein, erweist er sich in der Beziehung zu Belfore als ganzer Kerl, der das Tempo vorgibt. Gleichzeitig erscheint Belfore, der erwachsene Mann, die meiste Zeit eher wie ein unmündiges Kind, das kaum in der Lage ist, selbständig Entscheidungen zu treffen.
Insgesamt sind sowohl die Szenen, in denen sich Giorgio als Wissenschaftler versucht, ebenso ansprechend gestaltet, wie die durchaus vorkommenden Bettszenen. Esa Parr legt viel Wert auf die Darstellung ihrer Figuren, sodass manchmal die Hintergründe ein wenig sparsam ausfallen. Gerade bei einer Stadt wie Venedig bieten sich viele Möglichkeiten für große Szenenbilder, die allerdings nicht alle genutzt werden. Für ein deutschsprachiges Erstlingswerk ist Ermafrodito aber ein grafisch durchaus gelungener Manga.
Fazit
Ermafrodito bietet eine interessante Story, die sehr rasant erzählt wird. In Anbetracht der Tatsache, dass eine komplexe Geschichte in nur einen Band gepresst wird, bleiben Aspekte und Möglichkeiten leider auf der Strecke, vor allem was die Entwicklung der Figuren und ihrer Selbstwahrnehmung angeht. Ernste Themen wie Selbstzerstörung, emotionale Abhängigkeit und Missbrauch werden zwar angesprochen, allerdings fehlt der Raum, diese innerhalb der Handlung wirklich aufzuarbeiten.
Grafisch liefert Esa Parr einen ansprechend gestalteten Manga, den man sich gern auch auf mehrere Bände verteilt angesehen hätte. Ihre differenziert gestalteten Figuren nehmen die Leser mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt, bei der das Ende leider viel zu plötzlich kommt. Die homoerotischen Szene sind zwar explizit aber durchaus ansprechend dargestellt. Insgesamt ist Ermafrodito eine Geschichte, die nur bedingt für zart besaitete zu empfehlen ist. Wer allerdings eine gute Portion Drama mag, wird mit Esa Parrs Geschichte manch abwechslungsreiche Stunde verbringen.
Info

Ermafrodito – Harlows Begehren
Von: Esa Parr
Verlag: Tokyopop
Verfügbar: One-Shot
Preis: 7,99 EUR
Genre: Drama, Boys Love
Empfehlung: 16 +
ISBN: 978-3842047105