Kleine Bahnhofsgebäude in malerischen Landschaften – so sah eine Fahrt in die ländlichen Regionen Japans lange Zeit aus. Doch das Bild ändert sich. Immer mehr der historischen Gebäude weichen pragmatischen Alternativen – zum Ärger von Anwohnern.
Im Zuge der Entwicklung des japanischen Zugnetzes im frühen 20. Jahrhundert entstanden überall im Land Bahnhofsgebäude im westlichen Stil. Als Zeugnisse der späten Meiji- und frühen Taisho-Zeit erfreuen sie sich im Land einiger Beliebtheit. Einer von ihnen stand bis vor wenigen Jahren noch mitten in Japans Haupstadt Tokyo – am Bahnhof Harajuku.
Moderne Haltestellen statt historischer Bahnhofsgebäude
Doch so wie der Harajuku-Bahnhof einem Neubau weichen musste, um moderne Sicherheitsanforderungen zu erfüllen und gestiegene Fahrgastzahlen zu bewältigen, so droht auch vielen anderen Bahnhofsgebäuden im Land der Abriss. In Regionen wie Shikoku aber nicht wegen zu vielen Fahrgästen – sondern zu wenigen.
Insgesamt 259 Bahnhofsgebäude betreibt die Bahngesellschaft JR Shikoku auf Japans kleinster Hauptinsel, viele von ihnen sind historisch. Für JR Shikoku sind die alten Gebäude jedoch eine finanzielle Belastung. Insbesondere, da die Fahrgastzahlen auf der ländlich geprägten Insel mit der anhaltenden Landflucht konstant sinken.
Darum möchte das Unternehmen die alten Bahnhofsgebäude mit Wartebereichen ersetzen, die an den tatsächlichen Bedarf angepasst sind. Wie das aussieht, zeigt der Bahnhof Awa-Nakashima in der Präfektur Tokushima. Ein über 80 Jahre altes Haus wich hier einem Unterstand aus Metall und Glas, wie man ihn von Bushaltestellen kennt.
Insgesamt 13 Bahhofsgebäude ereilte bereits dasselbe Schicksal, für weitere 61 Gebäude verhandelt JR Shikoku noch mit den jeweils zuständigen Vewaltungen. Das finanziell angeschlagene Bahnunternehmen möchte damit wieder profitabel werden. Durch Einsparungen bei Instandhaltung, Reparaturen und regelmäßige Inspektionen soll sich der Bahnbetrieb auf Shikoku wieder lohnen. Dazu kommen 10 Millionen Yen, ca. 69,500 Euro, die in den nächsten Jahren in die Erdbeben-Festigkeit der Bahnhofsgebäude investiert werden müssten.
Doch es gibt Widerstand gegen die Pläne, aus historischen Bahnhöfen seelenlose Haltestellen zu machen. Aufmerksamkeit auf das Thema lenkte unter anderem Masahiro Tominaga. Der Bezirksvorsteher des Viertels Nishinari in Osaka wurde auf Shikoku geboren. Beim Besuch seiner Heimatstadt Awa-Nakashima fiel ihm der umgebaute Bahnhof auf.
Im Internet machte der 68-Jährige seinem Ärger Luft. „Ich war sprachlos, als ich das erste Mal seit Langem in meine Heimatstadt in Tokushima zurückkehrte,“ schrieb er. „Das vorherige Bahnhofsgebäude war verfallen, aber es hatte einen antiken Charme. Was auch immer der Grund ist, so hätten Sie es nicht machen dürfen.“
Gemeinden kommen selbst für Reparaturen auf
Auch in Higashi-Miyoshi, einem Ort entlang der Tokushima-Zuglinie, wird um den Bahnhof gekämpft. Das Gebäude steht seit 1914 in der Stadt, im Februar 2022 erfuhren die Anwohner vom geplanten Umbau. Wie der aussehen würde, das zeigte bereits die nahegelegene Station Awa-Handa – eine einzelne Sitzbank, umgeben von drei Wänden. Auch hier fiel ein 100-jähriger Bau den Sparmaßnahmen zum Opfer. Mit einer Petition wandten sich die Menschen in Higashi-Miyoshi im Dezember an ihren Bürgermeister, um ihren Bahnhof zu retten.

Für JR Shikoku ist jedoch klar, dass man die alten Gebäude nicht mehr im Bestand haben will. Sie bieten den Gemeinden darum eine pragmatische Lösung an: sie können die Bahnhofsgebäude kostenlos von der Bahngesellschaft übernehmen und dann auf eigene Kosten reparieren und Instand halten.
Das Angebot angenommen hat man unter anderem in Hidaka in der Präfektur Kochi. Das Dorf übernahm das Holzgebäude am Bahnhof Kusaka im vergangenen Oktober. Eine Umfrage in der Gemeinde hatte ergeben, dass sich die meisten Bewohner den Erhalt des Bahnhofs wünschten – die Verwaltung folgte dem.
Für das Finanzjahr 2023 hat man in Hidaka nun mehr als 30 Millionen Yen, ca. 208,500 Euro, im Budget eingeplant. Mit denen soll der Bahnhof renoviert und erdbebenfest gemacht werden. Püntklich zum 100. Geburtstag in 2024 wird die Station Kusaka dann in neuem Glanz erstrahlen – ganz ohne Glas und Metall.