Die Vielzahl an Freisprüchen bei Prozessen gegen Sexualstraftäter sorgten in den letzten Monaten für einen Aufschrei in den sozialen Medien in Japan. Die Gerichtsurteile werden mittlerweile von verschiedenen Seiten kritisiert, vor allem die Achtung der Menschenwürde würde negiert. Um solche Vorurteile zu umgehen, sollen jetzt die Akten dieser Verhandlungen vollständig veröffentlicht werden.
In Japan geben die Gerichte nur weniger als ein Prozent ihrer Entscheidungen in Strafverfahren an die Öffentlichkeit weiter. Viele Menschen fragen sich, warum so viele Gerichtsurteile zurückgehalten werden.
Am 12. März befand das Kurume-Gericht in Fukuoka einen Mann der Vergewaltigung für nicht-schuldig. Die Frau soll zum Zeitpunkt der Tat stark betrunken gewesen sein. Andere Freisprüche gegen Sexualstraftäter aus Shizuoka, Nagoya und Zentral-Japan folgten noch im selben Monat. In den sozialen Netzwerken wurde die Frage laut, ob die Richter die psychischen Schäden durch diese Taten überhaupt verstehen. Ein japanischer Anwalt antwortet darauf, dass auch die Männer Menschenrechte hätte, die es zu schützen galt.
Im Zuge dieser Kontroverse wurde die Forderung laut, die Volltexte der Gerichtsurteile gegen Sexualstraftäter zu veröffentlichen. Verschiedene Anwälte schlossen sich dieser Forderung an. Sie wollen die Urteile als Grundlage für eine breite Diskussion über eine Revision der Sexualstraf-Gesetze verwenden. Meistens würden auf diese Weise erst alle Umstände der Tat offengelegt, sodass eine richtige Entscheidung möglich wird.
Am 9. Mai zitierte ein Anwalt, der sich auf die Verteidigung von Sexualstraftätern spezialisiert hatte, in seinem Blog ein umstrittenes Urteil des Bezirksgericht Nagoya. Die Akte hatte er sich von einer kostenpflichtigen Datenbank für Präzedenzfällen gezogen. Diese Datenbank wird von einem privaten Unternehmen betrieben. Nur eine knappe Woche später entfernte der Mann diesen Post wieder, nachdem der Betreiber ihm vorwarf, gegen die Nutzungsbedingungen der Seite verstoßen zu haben.
Datenbänke, die Gerichtsurteile verwalten, werden von spezialisierten Unternehmen betrieben, die Informationen aus der Justiz nahestehenden Quellen, sammeln. Der Artikel 82 der japanischen Verfassung besagt, Prozesse werden durchgeführt und deren Urteile öffentlich verkündet. Diese Formulierung lässt die Interpretation zu, dass jeder Zugang zu diesen Urteilen haben kann.
Wie sieht die Realität für einen normalen japanischen Bürger aus?
Eine japanische Zeitschrift fragte nach dem Gerichtsurteil gegen einen Vater, der seine damals 12-jährige Tochter vergewaltigt haben soll. Der Täter wurde freigesprochen. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Bezirksgerichts Shizuoka beantwortete die Anfrage mit einer klaren Absage. Man können keinen Zugang zu dem Urteil gewähren, bis das Verfahren abgeschlossen ist.
Artikel 53 der Strafprozessordnung legt fest, dass jede Person Fallakten nach dem Abschluss einer Verhandlung ansehen darf. Dies bedeutet aber auch, dass Akten, die an höhere Instanzen weitergegeben werden, lange Zeit nicht zur Verfügung stehen. Auch Medienunternehmen bilden an dieser Stelle keine Ausnahme. Entsprechende Artikel entstehen in der Regel auf Grundlage von Beobachtungen der Reporter und durch Interviews mit betroffenen Personen.
2002 begann der Oberste Gerichtshof auf der Webseite „Gerichte in Japan“ einige Urteile nachgeordneter Instanzen offen zugänglich zu machen, noch bevor die Verhandlungen abgeschlossen waren. In einem Schreiben aus dem Februar 2017 heißt es, wenn Berichte zu Fällen in zwei der vier großen nationalen Tageszeitungen gedruckt werden, können sie aufgrund des öffentlichen Interesses auch schon vorher im Volltext veröffentlicht werden.
Die PR-Abteilung des Obersten Gerichtshof erklärte, dass nach dem Gesetz nicht davon ausgegangen wird, dass Berichte über Strafverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, einer öffentlichen Besprechung bedürfen. Eine Reform des Justizsystems aus dem Jahr 2001 wiederum legte fest, dass alle Aufzeichnungen zu Gerichtsverfahren vollständig zugänglich gemacht werden müssen. Damals ging man davon aus, dass die Veröffentlichung der Gerichtsurteile nicht verboten ist, solange die Privatsphäre der betroffenen Parteien gewahrt bleibt.
Seit dem 17. Mai sind die Volltexte von 880 Urteile aus Gerichtsverfahren aus dem Jahr 2018 für die Öffentlichkeit zugänglich. Dies entspricht einer Quote von weniger als 0,9 Prozent der rund 100.000 Strafgerichtsverfahren, die in Japan pro Jahr stattfinden.
Ein Professor der Aoyama Gakuin Universität, der auf das japanische Justizsystem spezialisiert ist, erklärte, es gäbe nur wenige Fälle, in denen der Zugang zu den Urteilen selbst in abgeschlossenen Fällen uneingeschränkt ermöglicht wird. Die Aufzeichnungen über Strafprozesse, die bereits abgeschlossen sind, überführt die Staatsanwaltschaft nach dem Ende in ein Strafregister, das Dritten grundsätzlich frei steht. In vielen Fällen erhalten Anfrage auf Akteneinsicht allerdings aufgrund von Ausnahmeregelungen eine Absage oder werden gar nicht an die zuständigen Stellen zur Entscheidung weitergegeben.
Quelle: MS