Der Ausbau der Digitalisierung und die Verbesserung des Englisch-Unterrichts, so lauten zwei der großen Ziele, mit denen Japans Regierung das Land fit für eine zunehmend globalisierte Welt machen möchte. Mit digitalen Lehrbüchern setzt das japanische Bildungsministerium beide Ansätze in die Tat um.
Während Japan im Ausland oft zum Hightech-Paradies stilisiert wird, hat das Land tatsächlich massiv mit den Herausforderungen der modernen Zeit zu kämpfen. Die Umsetzung der Digitalisierung in wichtigen Bereichen wie Verwaltung und Bildung fällt angesichts einer rigiden Kultur von Traditionen oft schwer. Zudem mangelt es an Fachkräften, die Wissen und Fähigkeiten für die nötigen Innovationen mitbringen.
Weg vom Grammatik-Pauken hin zu anwendbarem Englisch
Parallel dazu hängen auch die Pläne zum Ausbau der fremdsprachlichen Bildung – insbesondere der englischen Sprache – hinter den anvisierten Zielen. Ein Reformprogramm dazu wurde bereits vor einigen Jahren mit Blick auf die Olympischen Spiele 2020 auf den Weg gebracht. Unter anderem sorgte ein Mangel an qualifizierten Lehrkräften auch hier regional für Verzögerungen.
In einer Zeit, in der große Unternehmen in Japan zunehmend Englisch als Arbeitssprache nutzen und englische Kommunikation von ihren Angestellten fordern, braucht es darum dringend moderne Ansätze im Englisch-Unterricht der Schulen Japans. In der Präfektur Aichi etwa wird mit Grundschulklassen experimentiert, in denen nahezu alle Fächer in englischer Sprache unterrichtet werden.
Vor allem aber benötigt Japan Konzepte, die weggehen vom Grammatik-Pauken hin zur Befähigung zum freien Kommunizieren. Denn dort, in der praktischen Anwendung gelernter Inhalte, haben Japans Schulen die größten Defizite, wie sich erst kürzlich bei landesweiten Vergleichstests zeigte. Die Einbindung multimedialer Inhalte in den Unterricht ist dafür ein wichtiger Schritt.
Eine erste Modernisierungs-Welle im Englisch-Unterricht gab es bereits 2019, als die Schulbücher für das Schuljahr 2020 vorgestellt wurden. Die beinhalteten eine Reihe multimedialer Anknüpfungspunkte, etwa in Form von QR-Codes, die den Zugriff auf Videos, Audio-Dateien und weiterführende Online-Inhalte ermöglichten. Sie sind jedoch nur ein Übergangsprodukt, denn das Ziel des Bildungsministeriums ist ein Unterricht mit rein digitalen Schulbüchern.

Ab 2024 sollen diese flächendeckend zum Einsatz kommen, nachdem erste Testphasen in den Schuljahren 2021 und 2022 an vielen Schulen zufriedenstellende Ergebnisse geliefert hatten. Genutzt werden können die digitalen Lehrbücher auf Computern und Tablets – die stellt das Ministerium bereits seit 2020 für alle Schüler zur Verfügung. Zum Einsatz kommen die Online-Lehrbücher nach dem Plan einer Arbeitsgruppe des Central Council for Education, einem Beratungsgremium des Bildungsministeriums, für die Klassenstufen 5-9.
Gleiche Bildung für alle dank Digitalisierung? So einfach ist es nicht.
Die Englisch-Lehrbücher sind nur der Auftakt in der Digitalisierung des Schulmaterials, in den nächsten Jahren sollen zum Beispiel im Matheunterricht ebenfalls digitale Lehrbücher die physischen Exemplare ersetzen. Für den Anfang wird an den Schulen noch mit einem Mischsystem aus digitalen und physischen Lehrbüchern gearbeitet. Die Umstellung auf digitale Materialien wird vor allem in ländlichen Regionen voraussichtlich zu einer großen Herausforderung für Schulen, die bisher strikt analog gearbeitet haben.
Während die Lehrbücher einfach gehalten werden sollen, um die IT-Infrastruktur der Schulen nicht zu überfordern, wird Wert auf sinnvolle Funktionen gelegt. Das können etwa zuschaltbare Furigana (Aussprachehilfen für Schriftzeichen), Informationen zur Aussprache von Fremdwörtern und Zoom-Funktionen für Schüler mit Sehbehinderungen sein. Vor allem aber muss sichergestellt sein, dass die digitalen Lehrmaterialien den Schülern kostenlos zur Verfügung gestellt werden können. Denn Japans Regierung hat zwar festgelegt, dass Lehrbücher kostenlos ausgegeben werden – die digitalen Materialien lassen aber die Frage aufkommen, wie genau „Lehrbücher“ zu definieren sind.
In den Testreihen wurden etwa Audioaufnahmen, Videos und Text-zu-Sprache-Funktionen sehr positiv bewertet, sie zählen nach aktueller Ansicht der Regierung aber als zusätzliche „Lehrmaterialien“, die von den Schulen selbst kostenpflichtig angeschafft werden müssten. Befürchtet wird nun eine Situation, in der zwar allen Schulen ein digitales Basis-Lehrbuch, das vorrangig mit Text arbeitet, zur Verfügung steht, alles darüber hinaus aber von den finanziellen Kapazitäten der jeweiligen Kommune abhängig ist. Das würde Unterschiede in der Bildungsqualität innerhalb Japans verschärfen, anstatt die Bildung landesweit gleichermaßen zu fördern.