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HomeNachrichten aus JapanKultur100 Jahre Hachiko - der Hund, der Japan und die Welt bewegt

Die Legende des treuen Hundes

100 Jahre Hachiko – der Hund, der Japan und die Welt bewegt

Geht man nach dem chinesischen Kalender, dann ist 2023 das Jahr des Hasen. Das nächste „Jahr des Hundes“ steht erst 2030 an. Eigentlich – denn in Japan steht 2023 im Zeichen eines ganz besonderen Vierbeiners: Hachiko, dem treuen Hund von Shibuya. Auch 100 Jahre nach seiner Geburt wird seine Geschichte weltweit erzählt – und auch wissenschaftlich diskutiert.

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Die Geschichte von Japans berühmtestem Akita Inu beginnt im November 1923, als er in der nordjapanischen Präfektur Akita auf einem Bauernhof geboren wurde. Dort entdeckte ihn im Janur 1924 der Tokyoer Universitätsprofessor Hidesaburo Ueno. Für Hachiko begann eine aufregende Reise: raus aus der ländlichen Provinz, hinein ins expandierende Tokyo.

Hund, Herrchen und ein besonderes Ritual

Im schon damals belebten Stadtteil Shibuya fand Hachiko sein neues Zuhause in der Familie Ueno. Jeden Tag pendelte Professor Ueno vom Bahnhof Shibuya aus mit dem Zug zur Kaiserlichen Universität – der heutigen Universität Tokyo. Bald entwickelten Hund und Herrchen ein gemeinsames Ritual: am Morgen begleitete Hachiko den Professor zum Bahnhof, ging dann nach Hause. Am Nachmittag lief Hachiko vom Haus aus los, um sein Herrchen wieder am Bahnhof zu empfangen.

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Jeden Tag trafen sich Hachiko und Ueno so am Bahnhofsvorplatz, spazierten dann gemeinsam nach Hause. Ein Ritual, dass schon zu diesem Zeitpunkt die Intelligenz des jungen Hundes zeigte. Doch zum Phänomen wurde Hachiko erst ein Jahr später. Im Mai 1925 begab sich der junge Hund wie jeden Tag zum Bahnhof und wartete – vergebens.

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Hachiko mit Familie
Ein Bild aus frohen Tagen: Hachiko mit der Familie Ueno. Bild: Wikimedia Commons

Hidesaburo Ueno sollte nicht mehr zurückkehren. Er hatte während einer Vorlesung an der Universität eine Hirnblutung erlitten und verstarb. Hachiko blieb bei seiner Familie, bevor sich schließlich der Gärtner der Uenos seiner annahm.

Vom Störenfried zum Heldensymbol – Hachiko am Bahnhof Shibuya

Was Hachiko blieb, war sein gewohntes Ritual. Jeden Morgen lief er weiter zum Bahnhof Shibuya, jeden Nachmittag wartete er auf die Rückkehr seines Herrchens. Neun Jahre lang behielt er den gewohnten Ablauf bei, immer in der Hoffnung, noch einmal von Hidesaburo Ueno begrüßt zu werden.

Zwischen den vielen streunenden Hunden, die es zu jener Zeit in Tokyo gab, fiel Hachiko kaum auf. Nur sein auffälliges Geschirr, welches er um den Hals trug, identifizierte ihn als Hund aus gutem Hause. Für die Angestellten am Bahnhof Shibuya, die ihn nur herumlungern sahen, war der Hund jedenfalls zuerst vor allem ein Störenfried.

Das änderte sich erst Anfang der 1930er Jahre. Da fiel einem früheren Studenten von Ueno der Hund auf. Er stellte den Zusammenhang zwischen dem eingeübten Gang zum Bahnhof und dem plötzlichen Tod des Professors her und kam zu dem Schluss, dass Hachiko auch jetzt, viele Jahre nach Uenos Tod, auf sein Herrchen wartete.

Sein Artikel zu Hachikos Geschichte wurde als Geschichte eines „bemitleidenswerten alten Hundes“ im Oktober 1932 in der Zeitung Asahi Shimbun veröffentlicht – und schlug hohe Wellen. Japan befand sich zu dieser Zeit mitten in einer Ära des fanatischen Nationalismus, die Möglichkeit eines neuen großen Krieges wurde zunehmend realistisch. Loyalität und Treue – das waren Werte, die in den Augen der japanischen Öffentlichkeit besonders hoch standen. Und Hachiko schien sie perfekt zu verkörpern.

Aus dem Störenfried wurde ein Nationalheld – ein Hund, der den Menschen ein Vorbild sein durfte. Der nicht hinterfragte, sondern auf seinen Herrn vertraute und seinem „Befehl“ auch nach dessen Tod folgte. Dem die Treue zur Familie über alles ging. Die Realität hatte etwas geschaffen, das sich die Propaganda kaum eindrucksvoller hätte ausdenken können.

Der „treue Hund“ – in Bronze verewigt

Nicht nur die Pendler am Bahnhof Shibuya sahen den mittlerweile in die Jahre gekommenen Hund nun mit anderen, freundlicheren Augen. Das Bahnhofspersonal richtete Hachiko einen kleinen Ruheplatz ein. Und auch aus anderen Ecken der Stadt kamen Menschen, um den „treuen Hund“ mit eigenen Augen zu sehen.

1934 schließlich wurde dem damals noch lebenden Hachiko zu Ehren eine Bronzestatue auf dem Vorplatz des Bahnhofs errichtet. Sie fiel später der Kriegswirtschaft zum Opfer – Metall war wertvoll – bevor 1948 schließlich eine neue Version aufgestellt wurde. Sie ist bis heute einer der beliebtesten Treffpunkte in Shibuya. Wer sich am Bahnhof treffen will, tut das zumeist bei Hachiko.

Hachiko-Statue am Bahnhof Shibuya
Die Hachiko-Statue am Bahnhof Shibuya gehört zu den Wahrzeichen Tokyos. Bild: AS

Im März 1935 endete Hachikos ewige Wacht schließlich. Sein toter Körper wurde in einer Straße in Shibuya gefunden. Eine Untersuchung zeigte, dass der Hund an fortgeschrittenem Krebs litt, außerdem an einer schweren parasitären Infektion. Obwohl von allen geliebt – um seine Gesundheit hatte man sich nur wenig gekümmert.

Hachikos Tod machte japanweit Schlagzeilen. Menschen versammelten sich an der Statue um den treuen Hund zu betrauern. Dessen Körper wurde – nach dem Entfernen des Fells – verbrannt und die Asche auf dem Friedhof Aoyama beigesetzt – direkt neben dem Grab seines Herrchens Hidesaburo Ueno.

Nach fast zehn Jahren Trennung waren Hund und Herrchen nun also wieder vereint. Noch heute kann man auf dem Friedhof die Grabstelle besuchen, an der die beiden liegen. Auf einer steinernen Grabsäule steht dort der Name, unter dem Hachiko japanweit bekannt ist – „Chuken Hachiko“, der treue Hund Hachiko.

Zwischen Erzählung und Wahrheit

Hachikos Geschichte ist, daran besteht kein Zweifel, bewegend und für manche inspirierend. Ob sie so, wie sie erzählt wird, auch immer wahr ist, darüber wird auch heute noch diskutiert. Etwa, ob der Hund tatsächlich ab dem Todestag seines Herrchens 1925 sein Ritual fortführte. Die Zeitung Asahi Shimbun, die den Hund 1932 im Land bekannt machte, schreibt dazu, dass Hachiko erst ab Herbst 1927 wieder täglich am Bahnhof auftauchte.

Vor allem aber gibt es aus Veterinärskreisen berechtigte Zweifel daran, ob wirklich Loyalität und Treue den Hund jeden Tag zum Bahnhof trieben. Der Hundeexperte Tekfumi Kikusui von der Azabu Universität, hat eine andere Vermutung.

Es sei in jedem Fall richtig, sagt er, dass Akita Inu besonders starke Bindungen zu ihren Besitzern aufbauen. Doch sie wären keine Hunde, die bedingungslos jedem Befehl folgten. Vielmehr würden sie eigene Urteile treffen – etwa die Risiken bei einer Jagd einschätzen – und sich entsprechend verhalten.

Auch spielen Belohnungen bei einem eingeübten Verhalten eine Rolle. Insofern erscheint es unwahrscheinlich, dass Hachiko über Jahre nur in der Hoffnung zum Bahnhof marschierte, sein Herrchen wiederzutreffen. Das war, da ist sich Kikusui sicher, anfangs durchaus seine Motivation.

Doch mit der Zeit dürfte dem offensichtlich sehr intelligenten Hund aufgefallen sein, dass seine Anstrengungen nicht belohnt werden. Wahrscheinlicher ist darum, dass Hachiko die täglichen Ausflüge durch das belebte Shibuya an sich als interessante Aktivität empfand. Was ihn motivierte, war also womöglich nicht nur das Ziel – sondern der Weg dahin.

Spätestens ab 1932 kam ein weiterer Faktor hinzu: nun brachten Menschen dem beliebten Hund Futter und Streicheleinheiten mit. Wenn Hachiko nun also zum Bahnhof kam, dann erwartete ihn vielleicht nicht sein Herrchen, aber doch ein kleines Festmahl aus Leckereien und Zuneigung. Welcher Hund würde sich das schon entgehen lassen.

Hachiko bewegt – bis heute

Solche Erkenntnisse machen die erzählte Geschichte vom „Chuken Hachiko“ nicht kaputt, sie lassen die letzten Jahre des Hundes aber weniger bedauernswert erscheinen. An der Erzählung der Treue und Loyalität werden sie auch nichts ändern – diese Geschichte hat längst die Welt erobert.

Nicht zuletzt seitdem Hollywood Hachikos Leben für sich entdeckt hatte und mit Richard Gere in der Hauptrolle verfilmte, kannte man auch im Westen den treuen Hund. Und Hachiko-Motive werden auch in Zukunft das Straßenbild von Shibuya bestimmen.

Hachiko-Bus
Der Hachiko-Bus in Aktion. Bild: Wikimedia Commons/Stéfan

So gibt es etwa eine Minibus-Linie, die im Stadtteil unterwegs ist. Sie agiert unter dem Namen „Hachiko-Bus“ – leicht zu erkennen an dem Motiv eines fröhlichen Akita Inu auf der Seite des Busses. Sogar einen eigenen Themensong haben die Linien, der während der Fahrt gespielt wird.

Zum 100. Geburtstag von Japans berühmtestem Hund wird es zudem eine Reihe von Veranstaltungen quer durch Japan geben. Beteiligt an der Planung sind unter anderem die Geburtsstadt Hachikos in Akita, aber natürlich auch der Bezirk Shibuya in Tokyo. Informationen zu den geplanten Events finden sich auf der Webseite des Projekts.

Und was Hachiko selbst angeht – ihn kann man heute noch besuchen. Im Natur- und Wissenschaftsmuseum im Ueno-Park in Tokyo wurde sein Fell präpariert und ausgestopft. Bekleidet mit seinem auffälligen Geschirr wartet der treue Hund dort auch heute – nun auf die Besucher des Museums.

Hachiko im Museum
Hachikos ausgestopftes Fell im Wissenschaftsmuseum Tokyo. Bild: AS
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