Japan ist international als eines der Länder bekannt, die sich einer besonders gut ausgebildeten Bevölkerung erfreuen. Die Alphabetisierungsrate beträgt beinahe 100 Prozent, fast die Hälfte der Schulabsolventen erwirbt einen Hochschulabschluss. Doch anwenden können die japanischen Schüler ihr Wissen nur bedingt, das hat sich in landesweiten Tests gezeigt.
Seit Langem wird kritisiert, wie Wissensvermittlung im Unterricht in Japan stattfindet. Denn der Fokus liegt oft auf dem Auswendiglernen von Inhalten. Was in Prüfungen abgefragt wird, entspricht dann im Wesentlichen dem, was bereits im Unterricht in gleicher Form behandelt wurde. Um in wichtigen Entwicklungen, etwa in den Bereichen Digitalisierung und Technologie, mithalten zu können, ist das Land aber auf Fachkräfte angewiesen, die mit praktischen und kreativen Lösungen für Innovation sorgen.
Umsetzung von neuen Lehrplänen gestaltet sich für Lehrer und Schüler noch schwierig
Abhilfe schaffen sollten Änderungen in den landesweiten Lehrplänen. Die fordern seit einiger Zeit weniger Auswendiglernen, dafür mehr Anwenden des Gelernten in praxisnahen Aufgaben. Auch das eigenständige Denken, Reflektieren und Ausdrücken eigener Schlussfolgerungen und Urteile soll gefördert werden – Fähigkeiten, die in der traditionell kollektivistisch ausgerichteten japanischen Gesellschaft über lange Zeit eher als unerwünscht galten.
Dieses Jahr spiegelte sich die Neuausrichtung der Bildung nun auch im jährlich stattfindenden National Achievement Exam wider. Dieser landesweite Test wird seit 2007 im Auftrag des japanischen Bildungsministeriums durchgeführt. Die Ergebnisse dienen dazu, einen Überblick über Entwicklungen im Bildungssektor zu gewinnen und eventuelle Problemstellen zu identifizieren. Sie zeigen auch, in welchen Präfekturen Bildung besonders gut funktioniert – und in welchen nicht.
Am Test nehmen Schüler der 6. Klasse der Grundschule sowie der 3. Klasse der Junior High School (entspricht unserer 9. Klasse) teil, die an ausgewählten staatlichen Schulen im ganzen Land lernen. Zudem können auch Privatschulen freiwillig am Achievement Exam teilnehmen. Geprüft werden die Fächer Japanisch sowie Rechnen für Grundschüler und Mathematik für Highschool-Schüler. Außerdem wurde 2022 der Bereich Wissenschaft abgefragt, der zuletzt 2018 Teil des Tests war. Insgesamt 1,9 Millionen Schüler nahmen an den Prüfungen teil.
Am 28. Juli veröffentlichte das Ministerium für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie nun die diesjährigen Testergebnisse. Die offenbarten eindeutige Schwächen, insbesondere im Bereich Wissenschaft. Denn dort wurden durchschnittlich weniger als 50 Prozent der Fragen durch Highschool-Schüler korrekt beantwortet.
Besonders niedrig waren die Werte bei solchen Fragen, die von den Prüflingen wissenschaftliche Untersuchungen anhand von Beobachtung und Experimenten erforderten. Das ist eine der Fähigkeiten, die mit den neuen Lehrplänen eigentlich gefördert werden soll. Ein Sprecher des Ministeriums drückte die Enttäuschung vorsichtig aus: „Ein Gesamtwert von unter 50 Prozent suggeriert, dass es viele Herausforderungen gibt“, sagte er mit Blick auf die Umsetzung der neuen Richtlinien in den Schulen.
Auch in den anderen getesteten Fächern zeigte sich das gleiche Muster. Sobald die Fragen eigenständiges, tiefergehendes und interaktives Lernen erforderten, schnitten die Prüflinge im Durchschnitt besonders schlecht ab.
Im mathematischen Bereich waren das etwa Fragen, für die Antworten aus vorhandenen Daten generiert werden mussten und solche, in denen das Schulwissen auf Alltagsprobleme angewendet werden sollte. Zwar lassen sich die Ergebnisse aufgrund der neuen Fragestellungen nicht direkt mit denen des Vorjahres vergleichen, jedoch fielen die Ergebnisse im Rechnen für Grundschüler um 7 Prozentpunkte auf 63,3 Prozent, im Bereich Mathematik um 5,5 Punkte auf 52 Prozent.
Selbst im Fach japanische Sprache zeigen sich Effekte. Dort stieg zwar der durchschnittliche Anteil korrekter Antworten leicht an. Doch betrachtet man nur den Bereich des freien Schreibens, zeigten sich auch hier Herausforderungen. Im Bereich Wissenschaft schnitten die Schüler aus den Grundschulen sogar besser ab als noch vor vier Jahren. Rund 63,3 Prozent der Fragen wurden von ihnen korrekt beantwortet – ein Plus von 3 Prozent zu 2018.
Ganz anders sieht es bei den Ergebnissen der Highschool-Prüflinge aus. Deren Ergebnis im wissenschaftlichen Bereich belief sich auf ernüchternde 49,7 Prozent und lag damit 16,8 Prozentpunkte niedriger als vorher. Die Fragen, die ihnen gestellt wurden, bildeten oft Situationen ab, die in den Lehrbüchern so nicht vorkommen.
Das Ergebnis zeigt deutlich, dass die Umsetzung der neuen Richtlinien noch viel Arbeit erfordern wird. Das zeigt sich besonders an den Oberschulen, für deren Schüler der neue Fokus auf Anwenden statt Auswendiglernen einen Bruch mit über viele Jahre kultivierten Lernpraktiken bedeutet. Auch für die Lehrkräfte, die bereits unter hohem Druck arbeiten, braucht es Unterstützung, um neue Unterrichtsmethoden zu entwickeln und einzusetzen. Gelingt das, kann Japan darauf hoffen, auch in Zukunft im Bildungsbereich international an der Spitze zu stehen.