Egal ob Schule oder Arbeitsplatz – Japan hat eine ähnlich starke Präsenzkultur wie Deutschland. Lern- und Arbeitsleistung wird am vorgeschriebenen Platz erbracht, so lautete jahrzehntelang die Regel. Doch in Aichi werden nun Traditionen gebrochen – mit „Lernurlaub“ für Schülerinnen und Schüler.
Mit dem Vorstoß, der ab dem kommenden Schuljahr umgesetzt wird, reagiert die zentraljapanische Präfektur auf eine sich stetig verändernde Arbeitswelt. Schließlich sind die Corona-Jahre auch an Japan nicht spurlos vorübergegangen und haben verändert, wie die Menschen arbeiten. Das wirkt sich auch auf das Familienleben aus.
Lernen geht auch außerhalb der Schule
Schon vor Beginn der Corona-Pandemie gab es in Japan erste Ansätze, mehr Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des klassischen Büros zu schaffen. Die Pandemie beschleunigte diese Entwicklung schließlich, indem sie die Unternehmen zwang, neue Arbeitsformen zu erproben. Eine davon war die sogenannte „Workation“.
Die Wortschöpfung aus „Work“ und „Vacation“, also Arbeit und Urlaub, beschreibt eine besondere Form der Telearbeit. Angestellte arbeiten nicht von zu Hause aus, sondern aus einem Urlaubsort heraus. Um den Tourismus anzukurbeln, gab es über die letzten Jahre sogar Förderungen für solche Arbeitsmodelle. Dann ging es etwa nach Feierabend direkt ins heiße Wasser eines Onsen.
Wenn aber Angestellte mehr Möglichkeiten erhalten, Urlaub abseits der üblichen Urlaubszeiten – etwa zur Golden Week, zur Obon-Zeit oder zu Neujahr – und Wochenendtrips zu nehmen, dann verändert das auch das Leben an den Schulen. Schließlich wollen Eltern den Urlaub ja gern auch mit ihren Kindern verbringen, auch wenn er nicht in den Ferien liegt.
Das hat man in Aichi erkannt und führt darum den „Learcation“ genannten „Lernurlaub“ ein. Das Wort ergibt sich aus „Learning“ und „Vacation“. Angeboten werden soll er an allen staatlichen Grundschulen, Junior und Senior High Schools der Präfektur, wie Aichis Gouverneur Hideaki Omura ankündigte.
Drei Tage – und ohne Verpflichtung für die Schulen
Die Präfektur wird damit zum Vorreiter in der Umgestaltung des Schulwesens in Japan. Während der „Learcations“ sollen die Kinder abseits der Schule lernen und verpasste Unterrichtsstunden selbständig nachholen. Allerdings erstmal in begrenztem Umfang: bis zu drei Tage „Learcation“ stehen den Kindern pro Schuljahr zu.
Für eine ausgedehnte Auslandsreise ist der Lernurlaub also nicht gedacht. Vielmehr soll die Zeit für Familienaktivitäten genutzt werden. Die können, so der Gedanke, einen außerschulischen Bildungseffekt haben – etwa wenn die Familien Museen oder andere kulturell bedeutsame Orte besuchen und mehr über Land und Gesellschaft lernen.
Gouverneur Omura sagte dazu: „Wir müssen daran arbeiten, die Art, wie Menschen nach der Corona-Pandemie Urlaub nehmen zu reformieren, ohne uns nur auf Wochenenden und Feiertage zu konzentrieren“. Er schränkte jedoch ein, dass es verschiedene Meinungen zu dem Thema gebe, darum werde man die neue Regelung nicht erzwingen.
Im ersten Schritt der Umsetzung wendet sich die Bildungsbehörde der Präfektur an die Schulen und erklärt ihnen nun die Grundzüge der „Learcation“-Regelung. Dabei werden auch Meinungen der Schulen selbst eingeholt. Ab dem zweiten Semester des kommenden Schuljahres wird der Lernurlaub dann an allen Schulen angeboten werden, die sich dafür bereit erklären.