Sexuelle Belästigung in U-Bahnen und Zügen ist kein seltenes Phänomen im japanischen Alltag. Die Polizei versucht das Problem seit Jahren in den Griff zu bekommen.
Eine Fahrt in Japans notorisch überfüllten U-Bahnen kann für viele weibliche Fahrgäste zum Albtraum werden. Wenn es richtig voll wird und die Menschen nah aneinander heranrücken müssen, kommt es immer wieder vor, dass Männer die Anonymität der Masse ausnutzen, um nahestehende Frauen unsittlich zu berühren.
In den letzten Jahrzehnten wurden monatlich mehrere Tausende Fälle gemeldet, in denen Frauen Opfer von Grabschereien geworden sind. Das sogenannte ‚Chikan‘ (sexuelle Belästigung durch Grabschen) ist ein so ernstes Problem, dass die japanischen Bahngesellschaften sogar eigene Abteile nur für Frauen eingerichtet haben.
Auch spezielle Sicherheitskräfte, Kameraüberwachung und Warnschilder konnten das Problem nicht eindämmen. Zwar stuft die Polizei das Grabschen seit Mitte der 90er Jahre als offizielles Verbrechen ein, das schwer geahndet wird, aber auch die härtere Strafverfolgung konnte nicht dazu beitragen, dass Frauen sich in überfüllten Bahnen vollends sicher fühlen können.

Sexuelle Belästigung, die Dunkelziffer ist hoch
Allein in Tokyo soll es, laut Angaben der Polizei, im Jahr 2015 zu 1.900 Fällen von sexueller Belästigung gekommen sein. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein, weil ein Großteil der Opfer das Grabschen gar nicht erst meldet.
Vielen Frauen und Mädchen ist es unangenehm, Opfer solcher Übergriffe zu werden und sie trauen sich kaum, dagegen zu protestieren. Laut Angaben einer Studie der nationalen Polizeibehörde aus dem Jahr 2010 haben 89,1 Prozent von 304 weiblichen Opfern das Verbrechen gar nicht erst gemeldet und keine Anzeige erstattet.

Japans Kampf gegen hemmungslose Grapscher
Mit einer neuen Kampagne versucht die japanische Polizei nun erneut, das schwerwiegende Problem einzudämmen. Dazu werden Handzettel verteilt, Poster aufgehängt und in den U-Bahnen laufen wiederholt Ansagen, die das Problem thematisieren. Ziel der 10-tägigen Maßnahme, die heute startet und am 16. Juni ausläuft, ist die Bewusstseinsförderung der Schwere sexueller Übergriffe.
Dabei sollen vermeintliche Opfer dazu animiert werden, lauthals gegen das Grabschen zu protestieren. Im Zuge der Kampagne kooperiert die Tokyoter Polizei mit 19 verschiedenen Bahngesellschaften in der Kanto Region.
Weil es in den letzten Monaten wiederholt vorkam, dass der sexuellen Belästigung bezichtigte Männer auf die Gleise sprangen, um einer Strafverfolgung zu entgehen, richtet sich die Maßnahme auch an Männer. Erst kürzlich war ein Mann in Yokohama tödlich verunglückt, weil er auf die Gleise sprang, nachdem er des Grabschens beschuldigt wurde.

Auch für Männer kann eine Bahnfahrt zum Albtraum werden
Nicht nur Frauen haben mit dem schwerwiegenden Problem ‚Chikan‘ zu kämpfen. In den letzten Jahren sind immer wieder Fälle an die Öffentlichkeit gelangt, in denen Männer zu Unrecht sexueller Belästigung beschuldigt wurden. Das harte Durchgreifen der Polizei hat nämlich auch zur Folge, dass praktisch alle Männer, die der sexuellen Belästigung bezichtigt werden, in die Fänge der Justiz geraten können.
Wenn Frauen jemanden der sexuellen Belästigung beschuldigen, führt dies in der Regel nämlich zur Verhaftung und zu einer Anklage des Verdächtigen. Bis zu 23 Tage lang können Beschuldigte dann in Untersuchungshaft gehalten werden – ohne Anklage. Da die Aufklärungsquote der japanischen Polizei bei 99% liegt, enden fast alle angezeigten Kriminalfälle mit einem Schuldspruch.
Weil viele Männer sich vor gesellschaftlicher Stigmatisierung fürchten und ihre Familien schützen wollen, zahlen sie lieber hohe Geldstrafen oder nehmen Inhaftierungen in Kauf, statt ihre Unschuld zu beteuern und einen langwierigen Prozess mit der japanischen Justiz zu führen.
Um falsche Anschuldigungen zu vermeiden, werden Polizeibeamte inzwischen trainiert, Beweise und Zeugenaussagen zu sammeln, DNA-Spuren zu untersuchen und die Vorfälle nachzukonstruieren, um herauszufinden, ob die sexuelle Belästigung physisch überhaupt hätte stattfinden können. Aus Angst vor einer falschen Anschuldigung, versuchen viele Männer bereits, ihre Hände demonstrativ hochzuhalten.

I just didn’t do it (jap. Sore demo boku wa yattenai)
Dass das Problem falscher Anschuldigungen und die Verurteilung unschuldiger Männer bereits ein ähnlich schwerwiegendes Problem darstellt, wie die sexuelle Belästigung an sich, veranschaulicht der Film I just didn’t do it von Regisseur Masayuki Sou.
Regisseur Masayuki Sou hat sich in seinem Film I just didn’t do it dem Problem falscher Anschuldigungen angenommen und einen zu Unrecht beschuldigten Mann porträtiert. Der Film, der in Japan unter dem Titel Sore demo boku wa yattenai bekannt ist, erschien 2007 und wurde als bester fremdsprachiger Film bei der Oscar-Verleihung 2008 nominiert.
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